Oft kollidieren Frisurenwunsch und Haarstruktur.

Foto: Lukas Friesenbichler

Pro
Von Julia Herrnböck

Wenn es nach mir ginge: Das Haar würde mir wie ein Wasserfall bis zur Hüfte fließen. Im Winter würde mich die meterlange Pracht wärmen, im Sommer spendete sie Kindern Schatten. Das ganze Jahr über begleiteten mich Hupkonzerte, wenn mir der Wind durch das Naturwunder wirbelt und ... "Niiix laaange Haare! Brauchst du mehr Aufregung, vertraust du mich??!" Wie oft mein Friseur und ich dieses Spiel wohl gespielt haben? Sein Hundeblick, gepaart mit israelischer Hartnäckigkeit, hat mich in zehn Jahren reichlich haarige Abenteuer erleben lassen.

Pumucklrot und verzweifelt ließ ich mir in Vietnam die Haare zurückfärben. Irritierte Blicke vom anderen Geschlechte beim Streicheln meines kahlrasierten Nackens ertrug ich ebenso tapfer wie das herzliche "Warum??" meiner Mutter nach meinem letzten Besuch. Aber ohne seine Überredungskünste hätte ich den Undercut und den Irokesen nicht schon hinter mich gebracht. Und nichts lässt einen aufrechter durchs Leben gehen als eine Frisur, die einem selbst zu mutig erscheint.

Kontra
Von Sigi Lützow

Der Salon im 15. Wiener Hieb hätte besser nach Potenza gepasst - ein Eau-de-Cologne-umwehtes Coiffeurstuhl-Paar, Widmungen von Opernstars an der Wand ("Herrn Erich mit Dank"), unverkäufliche Pomade im Regal, ein leise dudelndes Radio. All dem inmitten er, der sich stumm mit Schere und Kamm über des Knaben Haupt hermachte - ein elegant verwelkter Marcello Mastroianni, im Mundwinkel die Zigarette, die später zischend am Speichelfaden verlosch, ein Auge zugekniffen wegen des Rauchs.

Nur dem Keifen des schlohweißen Pudelgreises, eines einst kohlrabenschwarzen Erbstücks Einhalt zu gebieten, murmelte Herr Erich heiser. Und wenn er das Rasiermesser für den Nacken zückte, entstanden Bilder von geöffneten Kehlen unter Mafiosigoder. Als der Pudel gestorben war, schloss auch bald der Salon. Die Erfolge bei Mädchen, sie waren, so scheint es, allein Herrn Erichs Kunst geschuldet gewesen. So wie er hat mich keiner mehr geschoren - selbstbewusst, bestimmt und ganz ohne Beratungsgeschwätz. (Rondo, DER STANDARD, 2.5.2014)