Die geplante Übernahme des britisch-schwedischen Pharmakonzerns AstraZeneca durch den US-Konkurrenten Pfizer bringt die konservativ-liberale Koalition in London in Bedrängnis. Der Deal im Wert von umgerechnet 73 Milliarden Euro würde nach aller Wahrscheinlichkeit erhebliche Arbeitsplatzverluste und den Abbau von Forschungszentren auf der Insel nach sich ziehen.

Die erklärte Absicht des US-Giganten, den Steuersitz des neuen Großkonzerns nach England zu verlegen, wirft zudem ein Schlaglicht auf den aggressiven Steuerwettbewerb, mit dem der konservative Finanzminister George Osborne globale Firmen anlocken will. Offenbar will Viagraproduzent Pfizer die "größte, am besten entwickelte Steueroase der Welt" nutzen, als die ein Spitzenbanker Großbritannien in der BBC bezeichnet.

Steuererleichterungen

Die Regierung unter Premier David Cameron hatte nach der Finanzkrise die Förderung der wenigen weltweit führenden Industrieunternehmen zur Priorität erklärt. Schrittweise wurde die Körperschaftssteuer von 28 Prozent in 2010 auf derzeit 21 Prozent reduziert. Zudem fallen für Patente, die im Land entwickelt werden, keinerlei Steuern an. Sein Land heiße Investoren herzlich willkommen, teilt Osborne bei jeder Gelegenheit mit. So gab sich zu Wochenbeginn auch ein Sprecher von Premier Cameron gelassen: "Wir haben eine offene, auf Handel beruhende Wirtschaft."

Industrieller Leuchtturm

Freilich stellt der 1999 aus dem Merger von Astra (Schweden) und Zeneca hervorgegangene Pharmariese mit 51.500 Mitarbeitern, 7000 davon in Großbritannien, einen industriellen Leuchtturm dar. Die Firma ist für gut zwei Prozent aller britischen Exporte und Forschungsausgaben von jährlich 3,4 Milliarden Euro verantwortlich.

Nach verlustreichen Jahren kam 2012 der Franzose Pascal Soriot vom Basler Roche-Konzern auf die Insel. Seither wurden 40 Prozent der britischen Arbeitsplätze eingespart; demnächst soll die Forschung am neuen Hauptquartier in Cambridge zusammengefasst werden.

Londoner Börsianer halten Soriot für wenig geneigt, mitten in einem schwierigen Sparprogramm die Zügel an Pfizer zu übergeben. Der US-Konzern hat britischen Wettbewerbsgesetzen zufolge bis Ende Mai Zeit, dem Übernahmekandidaten ein verbessertes Angebot zu machen oder eine feindliche Übernahme auszurufen. Die derzeit zur Diskussion stehenden Konditionen - 46,61 Pfund (56,60 Euro) pro Aktie, 30 Prozent davon in bar - hat der Vorstand von AstraZeneca zurückgewiesen. Brancheninsider sehen 50 Pfund mit einem 40-prozentigen Cash-Anteil als Marke an, bei der Großaktionäre umfallen könnten.

Die Sorgen der Londoner Politiker bestätigte Pfizer-Boss Ian Read indirekt mit dem Satz, er könne "Jobverluste nicht ausschließen". Bittere Erfahrungen sprechen dafür: Ausgerechnet jenes Labor in Sandwich (Grafschaft Kent), in dem Pfizer-Wissenschafter die blaue Sexpille Viagra zusammengemixt hatten, wurde vor drei Jahren mit dem Verlust von 2400 überwiegend hochqualifizierten Arbeitsplätzen geschlossen. Höhere Steuereinnahmen durch die Verlegung des Steuerstandortes nach England könnten diese Verluste nicht wettmachen.

Probleme mit den USA

Zudem macht sich Cameron in seinem erklärten Kampf für internationale Steuergerechtigkeit ausgerechnet in den Augen des Hauptverbündeten lächerlich. Der Regierung von US-Präsident Barack Obama würden hohe Milliardenbeträge entgehen, wenn London die auf Offshore-Zentren geparkten Pfizer-Milliarden zu britischen Bedingungen besteuert.

Die US-Firma wolle "die Steueroase Großbritannien" ausnutzen, analysiert Richard Murphy vom internationalen Netzwerk für Steuergerechtigkeit (TJN). (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD, 30.4.2014)