Bild nicht mehr verfügbar.

MIT-Chef Hakan Fidan (links)

Foto: AP/Hakan Goktepe/

 

Unantastbar, unumschränkt, überall präsent: Der türkische Geheimdienst MIT (Millet İstihbarat Teşkilatı) ist aus dem Machtkampf der Islamisten in der Türkei als neue Größe hervorgegangen. Staatspräsident Abdullah Gül hat auch dieses Gesetz unterschrieben, das ihm Regierungschef Erdogan vorgelegt und zuvor von der Parlamentsmehrheit abnicken hatte lassen. Vergangenen Samstag ist es im türkischen Gesetzblatt, der resmi gazetesi, veröffentlicht worden und damit in Kraft. Tayyip Erdogan hat nun seine eigene Geheimpolizei, sagen die Kritiker. "Gestapo-Staat" nennt es Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu.

Die massive Kompetenzerweiterung für den Geheimdienst war zugleich die erste Gesetzesänderung seit 1983, als die Putschgeneräle Hand anlegten und den MIT noch mehr zum Werkzeug des Militärs machten. Mittlerweile ist die türkische Armee weitgehend aus dem Geheimdienstapparat hinausgedrängt worden, so heißt es. 2012 übernahm MIT vom Militär die Verwaltung des elektronischen Kommunikationssystems GES außerhalb von Ankara, was dem Geheimdienst unter anderem die Möglichkeit eröffnete, selbst Telefongespräche abzuhören und Emails mitzulesen.

Damals, vor zwei Jahren, galt die Übernahme der GES-Zentrale noch als Symbol dafür, dass die türkischen Geheimdienstaktivitäten unter zivile Kontrolle kommen. Mit Hakan Fidan steht mittlerweile auch der vierte Zivilist an der Spitze des MIT; bis 1992 waren es Generäle. Doch das neue Geheimdienstgesetz lenkt diesen Fortschritt in eine andere, mindestens ebenso bedenkliche Richtung. Jetzt ist es der autoritär agierende Premier Erdogan, der über seinen Vertrauten Fidan den Geheimdienst steuert. Das neue Gesetz verringere weiter Transparenz und Rechenschaftspflicht des türkischen Staats und beschneide noch mehr die Pressefreiheit und die Privatsphäre der Bürger, stellte Emma Sinclair-Webb fest, die Türkei-Expertin von Human Rights Watch.

Immerhin: Im türkischen Parlament wird nun ein „Sicherheits- und Geheimdienstausschuss“ eingerichtet (Artikel 12), der jedes Jahr einen – zuvor von der Regierung geprüften – Bericht über die Aktivitäten des MIT erhält und über geheimdienstrelevante Entwicklungen für die Türkei beraten soll. Der Machtzuwachs für den MIT ist jedoch enorm. Er lässt sich an drei Punkten der Gesetzesänderung zeigen:

  • Datensammlung, Hausdurchsuchungen, Abhöraktionen: Artikel 3, Abschnitt b legt etwa fest, dass der Geheimdienst Daten von öffentlichen und privatrechtlichen Körperschaften ohne Widerspruch einfordern darf - also auch von Banken und Unternehmen, sowohl geschäftsinterne Daten wie über Kunden.
  • Der Geheimdienstchef berichtet nur dem Premierminister. Angehörige des MIT genießen de facto Straffreiheit. Ermittlungen gegen Geheimdienstmitarbeiter wegen straf- oder zivilrechtlicher Tatbestände müssen vom Staatsanwalt zunächst dem MIT-Chef gemeldet werden; sie können dann mit Verweis auf höhere sicherheitsrelevante Umstände blockiert werden.
  • Türkische Journalisten und Verleger werden künftig mit Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren bedroht, wenn sie geheimdienstliches Material veröffentlichen. Das betrifft in erster Linie die Tageszeitung Taraf, die etwa über Datensammlungen oppositionell eingestellter Unternehmer berichtet hatte oder über Beamte, die religiösen Bewegungen angehören könnten wie etwa der Hizmet-Bewegung des Predigers Fethullah Gülen.

Einen weiteren politischen Grund hat das neue Gesetz mit der Nummer 6532 noch: Es gibt dem Geheimdienst die legale Möglichkeit, Verhandlungen mit der – eigentlich gesetzlich verbotenen – kurdischen Untergrundarmee PKK zu führen. Das war Anfang 2012 der Vorwand unter dem die „Gülenisten“ in der Staatsanwaltschaft versuchten, den amtierenden Geheimdienstchef Fidan und dessen Vorgänger zur Vernehmung einzubestellen. Erdogan verstand das damals als Kampfansage gegen seine Regierung. Knapp zwei Jahre später, im Dezember 2013, platzte die Bombe mit den Korruptionsermittlungen gegen die vier Minister und Erdogans Sohn Bilal. Erdogan ließ daraufhin Justiz und Polizei von mutmaßlichen Gülenisten säubern, ließ per Gesetz den Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte unter die Kontrolle des Justizministers bringen und verschärfte die Internetzensur, um die weitere Verbreitung belastender Materialien einzudämmen. Das Geheimdienstgesetz war der nächste Schlag. (Markus Bernath, derStandard.at, 30.4.2014)