Die Brüder Phil (li.) und Dave Alvin erinnern sich an ihre Kindheit. Ein Glück für uns.

 

Foto: Yep Roc

Der Blues ist ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Es erinnert daran, dass der Blues keine per se traurige Kunst ist, sondern eine Ode an das Leben. Aber zu dem gehören blöderweise auch Regentage. Das verzerrte Antlitz des Phil Alvin illustrierte das Debütalbum der Blasters. Diese Illu schmeichelte ihm nicht unbedingt, doch sie entsprach dem, was sich in seiner Physiognomie abspielt, wenn er loslegt. Und loslegen konnte er und kann er. Denn als Sänger der aus Los Angeles stammenden Rockabilly-Formation bedeutete fast jeder Gig eine Feuertaufe. Schließlich spielten die Blasters mit ihren sich damals bereits ausdünnenden Tollen mit Black Flag, Fear oder anderen die Gewaltbereitschaft anziehenden Hardcore- und Punk-Gruppen ihrer Zeit. Und man muss sagen, energetisch standen die Blasters diesen Berserkern um nichts nach, punkto Schnelligkeit ebenso wenig.

Zu den verwandten Exoten auf denselben Bühnen zählten Los Lobos oder der Country-Hobbit Dwight Yoakam. Die Hispanics und der Cowboy trugen ihre Stiefel nicht nur aus stilistischen Gründen, sondern auch im Sinne der Selbstverteidigung. Mittelfristig zeitigte die musikalische Verwandtschaft von Los Lobos und den Blasters eine Keimzelle des Roots-Rock. Doch während die Wölfe globale Berühmtheit erlangten, gelten die Blasters bloß in den USA als weltberühmt. Nach drei Alben verließ Gitarrist Dave Alvin die Band und schlug eine erfolgreiche und mehrfach Grammy-gewürdigte Solokarriere ein, Phil hält die Blasters bis heute am Leben. Deren Aktien stehen zu Hause immer noch so hoch im Kurs, dass die Band keine Day-Jobs braucht, um ihr Auslangen zu finden, ja, ihre Shows treiben den Fans das Wasser in die Augen und aus allen Poren. Hin und wieder lässt sich sogar der als schwierig geltende Dave hinreißen und tritt mit seiner alten Band auf. Doch zusammen im Studio waren die Brüder 30 Jahre lang nicht. Bis jetzt. Demnächst erscheint das Album Common Ground, der Untertitel erklärt, worum es geht: Dave Alvin & Phil Alvin play and sing the Songs of Big Bill Broonzy.

Der 1958 gestorbene Big Bill Broonzy zählt zu den Säulenheiligen des Blues, und Phil erstand schon mit zwölf Jahren sein erstes Broonzy-Album. Für Dave eine Jugenderinnerung, die sich eingebrannt hat wie das Fladern seines ersten Playboy-Heftls.

Ihre Würdigung Broonzys vereint das Beste aus beiden Welten - die so unterschiedlich nicht sind. Schließlich besteht sogar die angeheuerte Band aus Mitgliedern der Blasters und aus Dave Alvins Liveband. Das Resultat ist kein gut gemeintes Bluesalbum weißer Buben im fortgeschrittenen Alter, sondern schiebt im Geist des zusammen generierten Roots-Rock an, dass es Phils Gesicht wieder ordentlich in Falten legt, wie damals, 1981. Ein paar Songs wie Stuff they call Money singen die beiden im Duett, den Rest teilt man sich paritätisch. Dave ist der düstere Typ, Phil hat das sonnigere Gemüt.

In der Mischung ergibt das ein großartiges Blues- und Rock-'n' -Roll-Album, ohne in die Nähe eines öden Bluesrock zu kommen. Gene Taylor klimpert sein bestes Juke-Joint-Piano, Phil drückt aufs Gas, Dave geht mit oder steht auf der Bremse. Das resultiert in einer Dynamik, die alle zwölf Titel belebt. Die Musik ist dreckig, luftig, sie besitzt jenes Gefühl, das so vielen ähnlichen Alben vollkommen abgeht, die meist an etwas leiden, was als Morbus Clapton bekannt ist. Dagegen sind die beiden Alvins immun.

Der Blues, heißt es, gebar einst ein Baby, den Rock 'n' Roll. Ja, und dann noch zwei: die Brüder Dave und Phil Alvin. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 2.5.2014)