Meine erste sieben Jahre als Staatspräsident nahmen am 21. Mai 2006 mit einem Besuch auf der früheren Verbannteninsel Ventotene ihren Anfang - auf einer Gedenkveranstaltung zum 20. Todestag von Altiero Spinelli, jener Persönlichkeit, deren Gedanken mir entscheidende Lehre waren (Spinelli hatte dort mit antifaschistischen Gesinnungsgenossen ein Manifest für ein föderales Europa verfasst: "Für ein freies und einiges Europa", Anm.). Daraus ergab sich die "proeuropäische Lehrzeit" der italienischen Kommunisten (ab Ende der Sechzigerjahre), jene Phase des Übergangs der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) von einer negativen und misstrauischen Einstellung gegenüber der entstehenden Europäischen Gemeinschaft hin zur Überzeugung, wie wichtig es ist, sich nicht von dem vom Italien Alcide De Gasperis eingeleiteten europäischen Integrationsprozess zu entfremden.

Meine erste Amtszeit fand schließlich am 24. März 2013 ihren Abschluss mit einer Pilgerfahrt nach Sant'Anna di Stazzema in der Toskana. Dem Ort eines der grausamsten Massaker der Nationalsozialisten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese habe ich gemeinsam mit Joachim Gauck, dem Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, unternommen. Im gemeinsamen Gedenken an die Opfer spürten wir den Geist und die Bedeutung der europäischen Einheit.

Mörderische Nationalismen

Das Überwinden der mörderischen, aggressiven Nationalismen - dies war der Gedanke, mit dem sich Altiero Spinelli identifizierte. Die Wiederversöhnung, die Annäherung von Nationen und Völkern und schließlich der Friede und die Zusammenarbeit, vor allem zwischen Frankreich und Deutschland, als wesentliche politische Grundlage des europäischen Integrationsprozesses, der seinen Ursprung nicht in rein wirtschaftlichen Gründen hatte und auch heute nicht auf diese Gründe beschränkt bleiben darf.

Alte Freunde

Ich habe als Staatspräsident die ununterbrochen bestehende Zusammenarbeit und Freundschaft mit Personen, die ich vor langer Zeit kennengelernt hatte, verstärkt wiederaufgenommen. Zum Beispiel mit dem österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer oder dem israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres. Sofort fand ich mich wieder in einem gemeinsamen Empfinden mit Proeuropäern einer viel jüngeren Generation, wie Bronislaw Komorowski, welcher der großen Tradition der Solidarnosc folgend Präsident Polens geworden ist.

Das gemeinsame Beschreiten dieses Weges ist es auch, worauf meine Beziehung als Präsident der Republik mit Papst Benedikt XVI. beruhte. Was uns verband, war ein wesentlicher gemeinsamer Hintergrund, da unsere beiden Leben völlig in der großen und furchtbaren historischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts begründet waren. Eine Erfahrung, aus der wir als Personen selbst einen entscheidenden Impuls bekamen, uns in der Vision eines neuen geeinten Europas wiederzuerkennen.

Gleichzeitig war die Achse der europäischen Identität, um die sich Italiens Präsenz und Initiative im internationalen Umfeld seit den 1950er-Jahren drehte, immer untrennbar mit einem anderen entscheidenden Bezugspunkt verbunden: der Freundschaft und dem Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika - in einem größeren transatlantischen Bezug. Die Vision eines gemeinsamen Europas, deren Träger ich war, hatte damals - aufgrund meiner Position als hoher Funktionär der Kommunistischen Partei Italiens - in den USA und auch anderswo die Konnotation des "Eurokommunismus".

Gegenseitiges Vertrauen

Diese vielfältigen Erfahrungen sind in den vergangenen Jahren auch in mein Verhältnis zu den höchsten politischen Ebenen der USA eingeflossen, in meine Beziehung als italienischer Staatspräsident zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Aus der Nähe und mit institutioneller Neutralität sowie persönlicher Leidenschaft und Hoffnung habe ich Barack Obamas Aufstieg und Bestätigung an der Spitze der USA verfolgt. Unser Verhältnis hat einen Grad an Aufmerksamkeit und gegenseitigem Vertrauen erreicht sowie menschliche Züge und eine ehrliche Freundschaft, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können.

Von diesem positiven Klima hat mein Land profitiert und auch Europa. Das nationale italienische Wohl und das gemeinsame europäische: Dies ist es, was für mich immer mehr als alles andere gezählt hat und auch heute noch zählt. (Giorgio Napolitano, DER STANDARD, 2.5.2014)