"Blood and Feathers" (1974) von Ana Mendieta.

Foto: The Estate of Ana Mendieta Coll., L.L.C. Courtesy Galerie Lelong, New York and Paris, Alison Jacques Gallery, London

Salzburg - "Zugrund gerichtet, wach ich ruhig auf", lautet ein Schlüsselsatz von Ingeborg Bachmanns Gedicht Böhmen liegt am Meer. Das Zugrundegehen darin ist doppeldeutig: Das Ich "stirbt" zwar, gelangt aber gleichzeitig auf den Grund des Seins. Diesen Grund rückt Bachmann in die Nähe eines Utopias, wo die Verbindungen des Menschen zur Natur noch intakt sind. Der aufklärerisch-technische Geist, der das Ich zugrunde gerichtet hat, wütet dort nicht. Fast unnötig zu sagen, dass es ein männlicher Geist ist, der hier die Flucht in ein weibliches Prinzip provoziert.

Magische Naturverschmelzung als Reaktion auf "männliches" Denken - das Werk der 1948 geborenen Ana Mendieta wirkt bisweilen wie eine Manifestation dieser Idee Bachmanns: Die kubanisch-amerikanische Künstlerin begrub sich selbst unter Steinen oder ließ sich "teeren und federn"; bei einem Besuch der Ruinenstätte Yagul in Mexiko legte sie sich in ein offenes Grab und ließ sich mit Blumen bedecken. Es sollte so aussehen, als ob sich die Natur den nackten Körper bereits zurückgeholt hätte. Mendieta wollte "überwuchert" sein wie die präkolumbischen Relikte in Yagul.

In der Arbeit mit Lehm, Sand oder Wasser wollte Mendieta einen "Dialog mit der Natur" herstellen, wobei ihre Stoßrichtung durchaus feministisch war. Von den architektonisch-männlichen Eingriffen der Land Art grenzte sie sich entschieden ab. Dem Schöpfer des Naturkunstwerks Spiral Jetty, Robert Smithson, warf sie vor, er habe die Natur brutal ausgenutzt. "Earth-Body-Art" nannte Mendieta ihre sensible Kunstform, in der sie sich vorwissenschaftlichen Kulturen stets näher fühlte als ihren Zeitgenossen. Ihre Arbeiten stünden in Verbindung mit einem "paläolithischen Geist", sagte sie einmal.

Erdfarben im White Cube

Im Museum der Moderne, wo derzeit die Retrospektive Traces zu sehen ist, sieht es deshalb ein bisschen aus wie im Völkerkundemuseum. Direktorin Sabine Breitwieser hat zu ihrem Einstand in Salzburg archaische Symbolik und Erdfarben in den White Cube am Mönchsberg gebracht. Von dokumentarischen Fotos und Videos über Zeichnungen bis hin zu Erd- und Baumstamm-Installationen reicht die chronologische Schau.

Im Mittelpunkt stehen die Siluetas. So nannte Ana Mendieta jenen massiven Werkkomplex, für den sie menschliche Umrisse in der Natur arrangierte: Sie rupfte menschenförmige Wiesenflecken aus oder füllte grabartige Erdlöcher mit Blut. Ihren eigenen Körper hielt Mendieta dabei im Laufe der Zeit immer mehr heraus, indem sie mit Abstraktionen oder Symbolen arbeitete. Man mag auch hierin eine Parallele zu Bachmann sehen, die Böhmen liegt am Meer wie eine anonyme, mythische Überlieferung wirken lassen wollte: Die Arbeiten Mendietas sehen teilweise tatsächlich aus wie Kulturrelikte.

Intensiver ist das "körperliche" Frühwerk. Als Studentin in Iowa befasste sich Mendieta - inspiriert von den Wiener Aktionisten (die zeitgleich im MdM zu sehen sind) - mit Blut, weil ihr die trendige Konzeptkunst der 1970er zu "clean" war. Ihre frühen Siluetas zwingen zur Nachempfindung. Die Blätterzeichnungen und Baumstamm-Objekte des Spätwerks wirken dagegen im schlimmsten Fall wie Stücke aus dem Esoterikladen. Der Innenraum war für Mendieta immer eher ein Kompromiss.

Traces erzählt von der kurzen, aber intensiven Heimatsuche einer früh Entwurzelten: Mendieta musste ihr Geburtsland Kuba mit zwölf Jahren verlassen und suchte fortan nach einer "Verbindung mit dem Universum". 1985 starb Mendieta bei einem mysteriösen Fenstersturz aus dem Apartment des Minimal-Künstlers Carl Andre, ihres damaligen Lebenspartners. Andre wurde nach einem längeren Prozess freigesprochen. Die Verteidigung bezog sich u. a. auf eine Todessehnsucht, die sich in den Werken Mendietas ausdrücke. (Roman Gerold, DER STANDARD, 2.5.2014)