Wien - Alles dreht sich auf der Bühne im Kreis. Da rauschen riesige Staffeleien wie in einem rasenden Ringelspiel am Publikum vorbei, Bilder von Schiele, Kokoschka, Klimt, das Wiener Riesenrad, ein Kaffeehaus samt Bugholzstühlen. Viele schöne Menschen wirbeln umher, gekleidet nach der Mode der vorletzten Jahrhundertwende. Ein buntes Operetten-Feeling und man erwartet beinahe, dass bald süßer Gesang einsetzt.

Fin-de-Siècle-Panorama

Doch die Frauen tragen Spitzenschuhe und die leichte Stimmung kippt, sobald der Tanz zur Musik von Mahler, Korngold, Berg und Zemlinsky einsetzt. Wir sind zwar in Wien, aber in jenem unheilvollen des Fin de Siècle, am Vorabend des Krieges. Viele historische Persönlichkeiten ringen da miteinander im Salon der Bertha Zuckerkandl (Dagmar Kronberger). Es verknoten und lösen sich unter anderem Arthur Schnitzler (Robert Gabdullin), Sigmund Freud (Kamil Pavelka), Gustav Mahler (Eno Peci), Alma Mahler (Ketevan Papava) oder Arnold Schönberg (Roman Lazik).

Eigentlich sollte der Brite Ashley Page, Choreograf und ehemals Principal Dancer des Royal Ballet, gemeinsam mit Bühnenbildner Antony McDonald Arthur Schnitzlers Reigen als Handlungsballett gestalten (was zuletzt Susanne Kirnbauer 1988 an der Volksoper unternahm). Doch im Laufe der Recherchen erweiterte sich das Thema für die Wien-Fans, und sie stießen auf eine historische "Kaffeehaus-Society". Viele davon kannten und trafen einander oft, in mehr oder weniger amourösen Konstellationen. Page wollte aber keine Biografien erzählen, sondern ein atmosphärisch verdichtetes Traumbild unter psychoanalytischer Lupe kreieren. Da legt sich schon einmal Gustav Mahler auf die berühmte Couch, auch wenn er Freuds Wiener Praxis in der Realität nie aufgesucht hat.

Zum Glück kam bei diesem nicht ungefährlichen Vorhaben weder ein touristisch-kitschiges noch ein manisch-depressives Wien-Bild heraus. Als Choreograf der Tanzeinlagen für die letzten beiden Neujahrskonzerte kannte Page die Tänzer bereits und entwickelte für jede Figur eigenes Bewegungsmaterial. Seine Tanzsprache mischt moderne Klassik und zeitgenössische Stile. Viel Gespür hat er für die Pas de deux, die energetisch und abwechslungsreich sind. In den Gruppenszenen fehlt die Feinheit etwas - bis auf die Szene zu Ravels La Valse: Da steigert sich der rauschhafte Tanz bis zum Abwinken durch eine neue Zeit.

Das Staatsballett zeigt sich in bester Form und scheint Spaß an der Arbeit zu haben, abgesehen von einigen asynchronen Folgen. Besonders gern sieht man Papava und Lazik, Maria Alati (als Wally Neuzil) und Mihail Sosnovschi (als Egon Schiele) zu, die wunderbare Kostüme tragen und in einem originellen und kraftvollen Bühnenbild tanzen.

Das Volksopernorchester unter Leitung von Gerrit Prießnitz hat hörbar Freude mit den Komponisten jener Epoche. Auch neue Musik gibt es: Die Werke sind teilweise durch von Béla Fischer komponierte Übergänge verbunden. (Barbara Freitag, DER STANDARD, 2.5.2014)