Graz - "Das muss aufgeklärt werden, ich will nicht, dass hier etwas vertuscht wird", sagt die Grazer Vizebürgermeisterin Martina Schröck (SP). Dass neuen Dokumenten zufolge mitten in Graz im Bereich des ehemaligen NS-Lagers im Bezirk Liebenau womöglich noch hunderte jüdische Opfer, darunter auch einige unter einem städtischen Kindergarten, verscharrt liegen, habe sie "in diesem Ausmaß nicht gewusst".

Der in Liebenau tätige Grazer Arzt Rainer Possert hatte, nachdem er von Patienten immer wieder Hinweise auf Knochenfunde und Details über das ehemalige NS-Lager erhalten hatte, seit Jahren eigene Recherchen angestellt - da vonseiten der Stadt, wie er im Standard-Gespräch kritisierte, "niemand ein Interesse hatte, dieses schwarze Kapitel der Stadt aufzuarbeiten".

Luftaufnahmen vorgelegt

Possert konnte jetzt Luftaufnahmen aus dem April 1945 vorlegen, als tausende ungarische Juden, die nach Mauthausen getrieben wurden, in dem Grazer Lager haltmachten. Die Aufnahmen zeigen zahlreiche Bombentrichter, die in dieser Zeit aufgefüllt wurden. Possert und die mit ihm arbeitenden Historiker gehen davon aus, dass auf dem Areal hunderte Opfer verscharrt sein dürften. Zumal man aus den wenigen vorliegenden Dokumenten wisse, dass es auch in Graz zu Massakern gekommen sei.

"Seit ich jetzt diese Luftaufnahmen gesehen habe, verfestigt sich schon die Meinung, dass da von der Stadt einiges verheimlicht wurde", sagt der Liebenauer Bezirksvorsteher Karl Christian Kvas. Er bestätigt, dass wichtige Bauakten zum Kindergarten, wo beim Aushub zwei Leichen gefunden worden waren, fehlten. "Ich hatte diese Dimension der Geschichte nicht geahnt", sagt Kvas. Er werde in der nächsten Bezirkszeitung an die Bezirksbewohner die Bitte richten, dass sich Zeitzeugen melden sollten, um ihre Erinnerungen und Erlebnisse zu protokollieren. Bürgermeister Siegfried Nagl (VP) war nicht erreichbar. (Walter Müller, DER STANDARD, 3.5.2014)