Botschafter Didonet mit Devotionalie in seinem Büro.

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Der Traum der Gastgeber, an eine Hauswand in Rio de Janeiro gemalt: Stürmer Hulk lehrt im Dress der Seleção Cristiano Ronaldo (li.) und Lionel Messi das Fürchten.

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Standard: In Brasilien ist es durchaus üblich, beim Kennenlernen nach dem Lieblingsfußballklub zu fragen. Welcher Klub ist der Ihre?

Didonet: Mein Verein ist der Internacional von Porto Alegre, der Klubweltmeister von 2006 und der Lateinamerikameister von 2006 und 2010. Ich mache gerne Werbung für meine Mannschaft.

Standard: Wie viele Landsleute haben Sie in Österreich zu vertreten?

Didonet: Das ist immer schwierig zu sagen. Wenn wir die offiziellen Daten nehmen, die Daten der Regierung Österreichs, wären es ungefähr 2500 Brasilianer, die meisten in Wien und in Vorarlberg. Das sind die, die sich hier als Brasilianer gemeldet haben. Es gibt aber viele Fälle von Menschen, die zwei Pässe haben - Brasilien und Italien, Brasilien und Portugal oder Brasilien und Deutschland. Es gibt also eine zweite Zahl, nämlich ungefähr 5000, die gemeldet haben, dass sie in Brasilien geboren wurden. Da können also auch Österreicher dabei sein.

Standard: Gibt es in Österreich ein reges brasilianisches Kulturleben?

Didonet: Ja, aber es ist doch eine relativ kleine Gemeinschaft. Es gibt Klubs, und die Botschaft selbst versucht, einiges zu organisieren.

Standard: Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Österreich und Brasilien charakterisieren?

Didonet: Es ist ausgezeichnet. Auch historisch bedingt. Bei uns hängt ja das Bild von unserer Kaiserin Leopoldina, Ihrer Leopoldine. Die Geschichte ist wichtig, auch heute sind die politischen Beziehungen ausgezeichnet.

Standard: Sind Sie während der WM in Brasilien? Wenn ja, werden Sie die Gelegenheit haben, ein Spiel im Stadion zu sehen?

Didonet: Es sind Ferien, ich muss aus familiären Gründen bis 20. Juni in Brasilien sein. Aber ich habe keine Karten gekauft. Und jetzt ist es unmöglich, welche zu bekommen. Porto Alegre ist schon ausverkauft.

Standard: Sehen Sie der WM nur mit Freude entgegen, oder ist die Sorge groß, dass die vorhandenen Konflikte besonders während der WM ausgetragen werden?

Didonet: Ich sehe die WM mit Freude, als Fan, als Staatsbürger. Ich bin zuversichtlich, dass die WM ein Erfolg sein wird, aber ich kann nicht ignorieren, dass ihr viele Brasilianer kritisch begegnen. Eine Meinungsumfrage ergab, dass es sich um 41 Prozent der Brasilianer handelt. Das ist legitim, man weiß auch, dass im vergangenen Jahr während des Confederations Cup große Demonstrationen gegen die Weltmeisterschaft stattgefunden haben. Brasilien ist eine Demokratie, Demonstrationen gehören dazu, danach hat Präsidentin Dilma Rousseff gesagt, dass die Stimmen der Straße gehört werden müssen und dass darauf positiv reagiert werden muss. Alle müssen Platz haben, ihre Meinung zu äußern. Auch wir haben das Phänomen von Black Blocs, aber insgesamt hat die große Mehrheit friedlich demonstriert. Und das ist in Ordnung.

Standard: Verstehen Sie die Beweggründe der Demonstranten?

Didonet: Sie haben legitime Anliegen. Im Nachhinein ist es immer einfacher, aber es ist eine Tatsache, dass die Demonstrationen Mitte 2013 überraschend kamen. Das hat niemand erwartet, damals war die Zustimmung für die Präsidentin bei 70 bis 80 Prozent. Brasilien war in einer positiven Konjunktur, das Land hat 18 Millionen formelle Jobs seit 2003 geschaffen. 42 Millionen Brasilianer haben die Armut überwunden. Das zeigt, wie sich die Lage durch soziale Programme positiv entwickelt hat, etwa bei der Verbesserung der Einkommensverteilung, die ein historisches Problem war. Dann kamen die spontanen Proteste, sie waren nicht von Parteien und Gewerkschaften unterstützt. Und jetzt sieht man, dass es eine Unzufriedenheit war, insbesondere mit den öffentlichen Dienstleistungen im Bildungswesen, im Gesundheitswesen oder wegen der Probleme mit der Mobilität, an denen sich die Proteste schließlich entzündet haben.

Standard: Die WM wirft einen Fokus auf das Land, wie Olympia zuletzt einen Fokus auf Russland geworfen hat. War man sich dieser Aufmerksamkeit bewusst?

Didonet: Wir sind daran gewöhnt, dass die Welt auf Brasilien schaut, sehr oft mit kritischem Blick. Ich glaube, dass wir die Tugend haben, zu zeigen, wie wir sind. Wir vertuschen nichts. Wir bleiben ein Entwicklungsland. Unser Pro-Kopf-Einkommen beträgt ein Viertel bis ein Drittel des Pro-Kopf-Einkommens in Österreich. Wir haben keine Schwierigkeiten, über unsere sozialen Probleme zu sprechen. Sehr oft habe ich als Diplomat den persönlichen Eindruck, dass die Verhältnisse nicht immer ganz objektiv betrachtet werden. Überhaupt in Europa.

Standard: Kürzlich war zu hören, dass die Sicherheitslage problematischer werden könnte als seinerzeit während der WM in Südafrika. Können Sie den Fans leichten Herzens empfehlen, zur WM nach Brasilien zu reisen?

Didonet: Der Vergleich mit Südafrika wäre in meinem Fall nicht passend. Dazu kenne ich die Situation zu wenig. Natürlich ist die Sicherheit eine Sorge für die WM, aber ich würde es nicht dramatisieren. Wir sind daran gewöhnt, große Veranstaltungen in Brasilien zu haben. Denken Sie an den Karneval oder den Weltjugendtag im vergangenen Jahr in Rio de Janeiro mit zwei, drei Millionen Teilnehmern. Wir hatten zwei riesige Umweltkonferenzen in Rio, das ist alles relativ reibungslos abgelaufen. Man kann, natürlich mit einigen Vorsichtsmaßnahmen, wie sie in den meisten Ländern angebracht sind, problemlos unterwegs sein.

Standard: Was kann es für das Land bedeuten, wenn die Seleção zum sechsten Mal Weltmeister wird, wenn die Hexa gelingt?

Didonet: Das wäre eine riesige Freude für alle, aber ich sehe keine besonderen Auswirkungen auf die politischen oder sozia- len Verhältnisse. Man spricht immer wieder an, dass der Fußball direkte Einflüsse auf die Politik hat. Es gibt gegenteilige Beispiele: 1994 waren wir Weltmeister, und Monate später ging die Präsidentschaftswahl für die Partei des Amtsinhabers aus. Man könnte vom "feel good factor" sprechen. Aber dann, 1998, hat sich die Seleção im Finale in Frankreich blamiert, die Präsidentschaftswahl ging danach trotzdem an den Amtsinhaber. 2002 hat Brasilien wieder triumphiert, aber die Opposition unter Lula da Silva hat die Wahlen gewonnen. Es gibt offensichtlich keinen direkten Einfluss.

Standard: Und Sie haben ja im Oktober, unmittelbar nach der WM, wieder Präsidentschaftswahlen.

Didonet: Genau, aber die werden eben von anderen Faktoren entschieden, wie Jobs und der allgemeinen sozialen Lage.

Standard: Aber hat die WM vielleicht auf diese Faktoren Einfluss?

Didonet: Nein, es gibt weder einen direkten noch einen indirekten Einfluss.

Standard: Man soll das Spiel Spiel sein lassen?

Didonet: Ja, dieser Meinung bin ich.

Standard: Wer verliert das Finale?

Didonet: Ich sage immer, dass man zuerst den amtierenden Weltmeister, also Spanien, respektieren muss. Dazu gibt es viele sehr starken Mannschaften, wie zum Beispiel Argentinien, Italien oder Deutschland. Ich hoffe natürlich, dass Brasilien gewinnt, aber ich würde da keine Vorhersagen riskieren. (Claudia Machado und Sigi Lützow, DER STANDARD, 3.5.2014)