Das Cover zum Buch.

Foto: Buchcover

Standard: Wie geht's?

Kronjäger: Ich habe starke Bauchschmerzen und die Befürchtung, dass der Lymphknotenkrebs auferstanden ist. In nächster Zeit werde ich nichts mitbekommen. Die Stammzellen, die im Jänner gewonnen wurden, werden transplantiert. Davor wird das alte Knochenmark mit der Chemo zerstört. Darauf freue ich mich, denn mein Bauch ist mittlerweile zu eng für meine Innereien. Das Glück war, dass sich all meine Tumore in der Bauchhöhle befinden, so konnte man sie orten.

Standard: Sie haben eine Biografie geschrieben. "Das L steht für Leben" lautet der Titel. Diese Behauptung wird aber nicht belegt. Was bedeutet das L in Ihrem Namen wirklich?

Kronjäger: Das ist eine Sache, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat. Ich habe irgendwann aus Spaß gesagt, dieses L ist mein großes Geheimnis. Ich lüfte es jetzt. Es leitet sich vom Namen meiner Taufpatin ab, sie hieß Leopoldine. L steht für Leopold. Eine völlig unspektakuläre Geschichte also.

Standard: Was waren die Beweggründe für das Buch?

Kronjäger: Natürlich gab es therapeutische Gründe. Ich habe immer Tagebücher geführt, ich habe praktisch jedes Fußballtraining aufgezeichnet. Nach der Diagnose Lymphknotenkrebs habe ich sehr bewusst mit dem Schreiben begonnen. Über meine Ängste, meine Hoffnungen. Zunächst nur für mich. Der Journalist Markus Geisler hat mich überzeugt, dass meine Geschichte auch für die Öffentlichkeit interessant ist.

Standard: Im Untertitel heißt es: "Warum das System Fußball krank machen kann". Geben Sie dem Fußball Schuld?

Kronjäger: Nein. Aber wenn man mit Herzblut an Projekten arbeitet, wenn man etwas bewegen möchte und dabei immer an Grenzen stößt, tut das weh. Die entscheidenden Veränderungen gelingen uns nicht. Ich hätte zum Beispiel gerne eine Seniorenmeisterschaft ins Leben gerufen, für Leute, die mit 50 oder 60 noch gerne kicken würden. Ich wurde vom Präsidium des steirischen Fußballverbands gnadenlos abgewimmelt. Weil es sportlich uninteressant ist, war die Begründung.

Standard: Lässt der Fußball zu wenige Visionen zu?

Kronjäger: Ja. Mit Visionen zu arbeiten ist so, als würdest du in einer Gummizelle mit dem Kopf permanent gegen die Wand rennen. Man traut sich nicht, innovative Ideen umzusetzen. Man hat immer nur Angst, und im großen Fußball kommt das reine Ergebnisdenken dazu. Nehmen wir unsere Vereine her. Wir sagen, wir sind ein Ausbildungsland. Aber wehe, der Trainer verliert zwei- oder dreimal. Er weiß, dass dann sein Arbeitsplatz in Gefahr ist. Ausbildung macht nur Sinn, wenn man Leuten Fehler zugesteht. Es heißt ja, aus Fehlern lernt man. Im Fußball gilt das nicht. Das geht bis in den Breitensport rein. Selbst in den Unterklassen werden Trainer nach fünf Niederlagen entlassen. Das ist total lächerlich, ein gesellschafts- und sozialpolitischer Unsinn.

Standard: Wird nicht auch schon den Kindern Ellbogentechnik und Egoismus beigebracht? Ist das schöne Gerede vom Mannschaftsgeist nicht nur reines Geschwafel?

Kronjäger: Ja, Fußball ist ein Verdrängungswettbewerb. Wer den längeren Atem hat, wer sich besser verkauft und Kontakte zu den Medien hat, wer die Ellbogen stärker einsetzt, schafft es.

Standard: Sie waren nur ein Jahr lang Cheftrainer bei einem Bundesligaverein. Wollten Sie nicht mehr erreichen, oder haben Sie sich bewusst für die Arbeit im Nachwuchsbereich entschieden?

Kronjäger: Beides. Die Angebote, die ich nach der Zeit in Ried bekommen habe, waren deshalb uninteressant, weil sie nicht zu meinen Visionen passten. Ich wollte mit jungen Talenten guten Fußball bieten. Mir war die Laufzeit eines Vertrags immer wichtiger als die Höhe des Gehalts. Man kann in einem Jahr nichts bewirken, Wunderwuzzis gibt es keine. Es bleibt immer nur der Wuzzi übrig, weil die Zeit nicht reicht. Ich wollte immer etwas aufbauen, das ist im Nachwuchs eher zu bewerkstelligen. Man kann sagen, ich bin arrogant. Ich sage, ich bin ein Romantiker.

Standard: Sie haben im ÖFB-Nachwuchs auch David Alaba trainiert. Gibt es noch Kontakte?

Kronjäger: Ja, und auch zu vielen Kickern von Sturm Graz. Oder zu Manuel Ortlechner.

Standard: Was muss man jungen Fußballern auf den Weg geben?

Kronjäger: Der rote Faden ist, dass es ein Beruf ist wie Architekt, Schuster oder Zahnarzt. Nur hat der Fußballer eine beschränkte Zeit, Geld zu verdienen. Dafür ist er privilegiert. Ich habe immer darauf geachtet, dass die Persönlichkeitsentwicklung passt. Das dürfte mir gelungen sein. Es ist eine große Hilfe während meiner Krankheit, dass sich viele Spieler bei mir melden. Das gibt Kraft.

Standard: Zu Ihrem Lebenslauf gehören die Teamchefposten im Königreich Bhutan und auf den Salomon-Inseln, die Trainerausbildung in Sri Lanka. Was haben Sie bei diesen doch eher außergewöhnlichen Engagements gelernt? War es Erdung oder auch Flucht?

Kronjäger: Vermutlich beides. Ich habe mit Spielern gearbeitet, die gejubelt haben, weil sie einen Ball endlich einmal voll getroffen haben. Je ärmer die Länder sind, umso ehrlicher sind die Menschen. Dort gab es keine linken Geschichten, kein Ausbremsen, kein Mobbing. Es war der Spirit of the Game. In Bhutan habe ich ein Video gezeigt, da hat sich einer selbst am Trikot gezogen, worauf der Schiedsrichter Elfer gepfiffen hat. Die Spieler sind vom Sessel gefallen, waren entsetzt, dass es solche Unsportlichkeiten gibt. Bei uns gibt es in der U10 Anweisungen von Trainern: "Geh rein und lass dich fallen." Ein Wahnsinn. Ich habe gelernt, dass Fußball ein wunderschönes Spiel ist. Sogar wenn es ums Geld geht. Die großen wie die kleinen Partien werden durch Spielfreude entschieden, man muss den Gegner überraschen. Du musst die Kreativität, das Risiko fördern. Ich habe nie einen ausgetauscht, weil er ein Fehler gemacht hat. Ich habe ihn ausgetauscht, wenn er gar nichts gemacht hat.

Standard: Natürlich geht es auch um Geld. Sie waren wirtschaftlich nicht gerade erfolgreich. Warum?

Kronjäger: Weil ich den Wert nicht richtig einschätzen konnte. Bis heute kann ich das nicht. Bevor ich in Bhutan 300 Dollar kriege, mache ich es lieber gratis. Und habe ein reines Gewissen.

Standard: Sie sprechen und schreiben sehr offen über Ihren Krebs. Habe Sie sich je die Frage "Warum gerade ich?" gestellt?

Kronjäger: Nur ganz kurz. Ich habe einen ausgezeichneten Arzt, der hat gesagt, das kommt oder kommt nicht. Ich hatte also mehrmals Pech. Ich habe es akzeptiert. Der Krebs war und ist insofern positiv, weil ich dadurch liebe Menschen kennengelernt habe. So paradox es klingt, ich bin dem depperten Krebs auch dankbar, weil er mir die Augen geöffnet hat. Das Leben ist viel wertvoller, als man glaubt, es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Ich kann nicht sagen, ob ich Weihnachten noch erlebe. Aber ich sitze da, schaue aus dem Fenster und sehe, dass die Bäume blühen. Wunderbar. Nimmt man die Krankheit an, ist sie leichter zu ertragen. Ich gebe aber zu, dass Sterben eine wilde Geschichte ist. Das Jüngste Gericht soll warten.

Standard: Wünsche an die Fee?

Kronjäger: Nur Gesundheit.

Standard: Ist eine Rückkehr in den Fußball denkbar?

Kronjäger: Ja. Es ist ein Traum von mir, ein exotisches Nationalteam zu einem großen Turnier zu führe. Egal, ob U17, U20 oder die A-Auswahl. Die Salomon-Inseln erkundigen sich dauernd, wie es mir geht. Sie wollen mich. Ich schließe nicht aus, dass ich dort hingehe. Zur Not gratis. (Christian Hackl, DER STANDARD, 05.05.2014)