Salzburg befindet sich – das Gefühl bekommt man durch die Medienberichte und diverse Facebookgruppen – unter dem Einfluss einer Flut von BettlerInnen. Tatsächlich halten sich im Schnitt über das Jahr verteilt rund 150 Notreisende in der Stadt Salzburg auf. Immerhin eine Stadt mit fast 150.000 Einwohnern und Einwohnerinnen.

Ein junger Salzburger begründet die Facebookgruppe "Gegen die Rumänischen / Bulgarischen Bettlerbanden" (sic!) und startet eine Unterschriftenaktion für ein generelles Bettelverbot in der Stadt Salzburg. Die Gruppe ist mittlerweile nicht mehr öffentlich sichtbar – vermutlich aus der Sorge heraus, man könnte unter Beobachtung durch Kritiker und Kritikerinnen stehen. Zurecht, wie ich meine. Wird in dieser Facebook-Gruppe doch so frei von der Leber weg auf tiefstem Niveau gegen Bettler und Bettlerinnen gehetzt, was das Zeug hält. Dokumentierte Aussagen wie "Niederghaut kheans glei die grausigen tschabracken!"und "Weg mit dem dreck!" werden skandiert. "Wertlose Kreaturen" ist zu lesen. NPD-Plakate werden gepostet.

Woher kommen diese Reflexe so voller Zorn und Hass?

Vermutlich hat der Salzburg Wahlkampf seinen Beitrag geleistet. Doch noch mehr hat man das Gefühl, jene, die hier hetzen und schimpfen, haben Angst, man könnte ihnen etwas wegnehmen, die Bettler und Bettlerinnen könnten ihnen etwas wegnehmen. Mangelnde Bildung und "Radfahrmentalität" (nach oben buckeln, nach unten treten) sind Argumente, die zwar in sich schlüssig sind, jedoch zugleich diese Gehässigkeit nur bedingt erklären können – noch dazu, weil es sich scheinbar, in unterschiedlichen Schattierungen, immer noch um die Mehrheitsmeinung handelt.

Reale Sorgen und Mythen

Vielmehr scheinen sich hier reale Sorgen mit jahrhundertealten Vorurteilen und Mythen zu vermischen. Die VersursacherInnen der vermeintlichen Notlage sind bei Weitem nicht ausschließlich jene, gegen die sich der Zorn richtet – vulgo "die da oben". EU-Ablehnung, Alltagsrassismen, Ruf nach Selbstjustiz, Politikverdrossenheit und rechtspopulistische bis rechtsextreme Argumentationsmuster fließen hier zusammen. Kritik an der Regierungspolitik wird lediglich in folgender Form artikuliert: Die Regierungen und die EU sind schuld an der "Bettlermisere".

Zudem ist es ungleich einfacher, sich Feindbilder (die sich ohnehin – über Jahrhunderte als Sündenbock tradiert und "gepflegt" – als ebensolche anbieten) zu suchen, die sich der Schimpferei und Diskreditierung nicht erwehren können, weil sie damit beschäftigt sind, den Alltag zu bewältigen. Demokratie wird hier nicht als permanente Auseinandersetzung verstanden, sondern als Dominanz der Mehrheit ("Wille des Volkes") über Minderheiten.

Kurzum: Existenzängste und die Furcht, irgendwann in der gleichen Situation zu landen, machen die Menschen blind gegenüber Mitgefühl, Menschlichkeit und Empathie. Schließlich ist jede/r sich selbst der/die nächste. Das Instrument der sprachlichen Dehumanisierung ist so alt wie die Menschheit selbst und führte zu den grauenhaftesten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die die Geschichte jemals gesehen hat. Wir erinnern uns aus aktuellem Anlass: der Genozid in Ruanda ist gerade einmal zwanzig Jahre her.

Ängste kommen nicht aus dem Nichts

Die derzeit herrschende Frustration ist durchaus ernstzunehmen. Derart unmenschliche Aussprüche und -brüche allein auf die Dummheit der Leute zu schieben, ist gefährlich und naiv. Zugleich erscheint es in der derzeitigen Stimmungslage geradezu unmöglich, an Verstand und Menschenwürde zu appellieren.
Fakt ist: die Armutsmigranten und -Migrantinnen sind hier. Sie vergegenwärtigen uns, dass wir unseren Wohlstand zu einem guten Teil auf ihre Kosten leben. Diese Tatsache wollen jene, die schimpfen und spucken, nicht anerkennen. Was wir nicht sehen und wahrhaben wollen, muss weg. Ein Mantra der österreichischen Geschichte. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Punktum! Jede/r, der/die sich dagegen auflehnt, ist ein "linkslinker Gutmensch", ein "Kommunist" oder "weltfremd".

Mit Hetzern und Hetzerinnen diskutieren?

Die zentrale Frage ist: wie kann man jene Hetzer und Hetzerinnen erreichen? Gibt es die Möglchkeit, sie überhaupt zu erreichen und mit ihnen zu diskutieren? Diese Frage traue ich mich nicht zu beantworten. Unmittelbar gilt es, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, sich unbeirrt gegen Stereotypen und Vorurteile zu stemmen und den Idealismus nicht zu verlieren. Idealismus und Menschlichkeit sind jene Faktoren, die jene, die sich für die Notreisenden einsetzen, von denen, die selbige "entfernt" wissen wollen, unterscheiden. Auch, wenn selbst bei jenen, die über Jahre schon im Sinne dieses Auftrags unterwegs sind, Ermüdungserscheinungen auftreten, so bitte ich euch: gebt nicht auf, haltet durch. Jeder getane Schritt in die richtige Richtung ist besser als Stillstand. (Leserkommentar, Kathrin Quatember, derStandard.at, 5.5.2014)