Openair -Abstimmung, die jährliche Landsgemeinde in Glarus/Schweiz.

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Glarus – Erster Maisonntag in Glarus: Rund um den Zaunplatz, zentraler Treffpunkt des Ostschweizer Städtchens, füllen Jahrmarktbuden die Straßen und Gassen. Der Zaunplatz selbst ist Politikarena. Hier haben sich rund 10.000 der 40.000 Glarner Einwohnerinnen und Einwohner zur Landsgemeinde, zur traditionellen offenen Abstimmung, versammelt. Politik wird hier zum Volksfest.

Als Demokratietouristen mit dabei sind Mitglieder der Vorarlberger Neos. "Wir brauchen mehr direkte Demokratie auf allen politischen Ebenen", ist Landessprecherin Sabine Scheffknecht überzeugt. Die Schweiz könnte prinzipiell als Beispiel dienen, bei Exkursionen in Nachbarkantone suche man deshalb nach konkreten Lösungsmöglichkeiten. Das Ziel der Neos: "Menschen wieder für den politischen Diskurs begeistern."

Politische Folklore

Die Tradition der Landsgemeinde ist alt. Seit 600 Jahren wird in Glarus über die regionale Politik offen abgestimmt. Die Landsgemeinde, - das archaische Abstimmungsmodell wird außer im Glarnerland nur noch im Kanton Appenzell Innerrhoden angewandt -,  ist das oberste gesetzgebende Organ des Kantons (Bundeslands). Hier werden der Landammann und sein Statthalter gewählt und das Personal der Gerichtsbehörden. Über Budget und Gesetze wird abgestimmt, über Steuern, aber auch Anträge von Bürgerinnen und Bürgern, die der Landrat als erheblich einstuft. Stimmberechtigte können bei der Landsgemeinde Gegenvorschläge einbringen und auf dem Abstimmungsplatz, genannt „Ring", für ihre Anliegen sprechen.

Das Ritual ist antiquiert. Der vorsitzende Landamman begrüßt vom zentralen Podium aus "hochgeachtete" Würdenträger und "hochvertraute, liebe Mitlandleute" (diese Begrüßungsfloskel müssen auch alle Redner anwenden), dann stellt er Land und Volk unter den Machtschutz Gottes, das Stimmvolk schwört den Eid aufs Vaterland. Abgestimmt wird per Handzeichen mit blauen Stimmzetteln, der Landammann entscheidet mit Augenmaß, ob eine Mehrheit erreicht wurde.

Transparenz als Vorbild

Weniger als das Ritual hat es den Neos das Memorial, die 52 Seiten starke Broschüre mit umfassenden Details zur Traktandenliste (Tagesordnung), angetan. Jeder Antrag ist darin vollinhaltlich abgedruckt, aufgezeigt werden die finanziellen Konsequenzen inklusive der Steuerbelastung für den einzelnen Bürger. Zum ursprünglichen Antrag kommt die Erklärung des Landrats und dessen Begründung der Ablehnung oder Zustimmung.

Diese Transparenz würde sich Sabine Scheffknecht auch in Österreich wünschen. Hier bekomme der interessierte Bürger weder Akteneinsicht, noch erfahre man, welchen finanziellen Belastungen durch geplante Projekte auf Allgemeinheit und Individuum zukämen. Was Scheffknecht an der Abstimmungsvorbereitung fasziniert: "Jeder und jede bekommt das Memorial zugeschickt. In den Gasthäusern wird dann intensiv über die Themen diskutiert." Diese breite Diskussion wünschen sich die Neos auch in Österreich. Die politische Debatte an den Wirtshaustischen sollte "lösungsorientiert und engagiert sein", weniger von Frustration und Wut geprägt.

Das Volk mitentscheiden lassen

Um den breiten politischen Diskurs zu erreichen, müssten die Menschen stärker beteiligt werden. Bürgerräte, wie von der Vorarlberger Landesregierung forciert, reichen Scheffknecht nicht aus. Sie will Einbindung der Bevölkerung in Entscheidungen. Konkrete Vorschläge dazu erarbeite man zurzeit, ebenso das Programm für die Landtagswahl im September. Bevor es von der Mitgliederbesammlung nicht beschlossen sei, würden noch keine Details kommuniziert, sagt Scheffknecht.

Neos-Liste im Juni

Wer für die Vorarlberger Neos in den Landtag kommen wird, ist noch ungewiss. Sabine Scheffknecht, 35-jährige karenzierte Personalmanagerin und Mutter von zwei Kleinkindern, wird sich für das dreistufige Verfahren (online, Parteivorstand, Mitgliederversammlung) bewerben. Nach einem bekannten Zugpferd für die Wahl suche man nicht. Sachkompetenz ginge vor Prominenz, sagt Scheffknecht. Die Kandidatenliste wird am 28. Juni präsentiert. Das Wahlziel der Neos steht jetzt schon fest: Klubstärke, also mindestens drei Mandate. Aktuelle Umfragen anderer Parteien geben den Neos zehn Prozent, damit wäre dieses Ziel erreicht. (jub, derStandard.at, 5.5.2014)