Nach viertägiger Einvernahme hat die nordirische Polizei den irischen Abgeordneten und Präsidenten der Sinn-Féin-Partei, Gerry Adams, am Sonntagabend auf freien Fuß gesetzt. Eine Akte wird nun von der Staatsanwaltschaft geprüft, um über eine mögliche Anklageerhebung zu entscheiden. Klarheit in dieser Frage wird es erst in einigen Monaten geben.
Der 65-jährige Adams, der eine entscheidende Rolle beim Aufbau Sinn Féins als politischer Alternative zur Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und bei der Abrüstung der IRA gespielt hatte, wurde im Zusammenhang mit einem Mord vor 42 Jahren verhört: Die IRA hatte 1972 die 37-jährige Witwe und Mutter von zehn Kindern, Jean McConville, entführt, ermordet und anschließend an geheimem Ort verscharrt. Sie wurde fälschlich beschuldigt, ein Spitzel der britischen Armee gewesen zu sein. Ihre Leiche wurde erst 2003 zufällig entdeckt.
Tonbandaufnahmen eines Forschungsprojekts der amerikanischen Universität Boston College hatten neues Beweismaterial zutage gefördert. Die nordirische Polizei erwirkte letztes Jahr vor amerikanischen Gerichten die Freigabe dieser eigentlich vertraulichen Aussagen von ehemaligen IRA-Mitgliedern. Darin wird Adams direkt beschuldigt, 1972 den Befehl zur Exekution McConvilles gegeben zu haben.
Adams selbst bestreitet dies; er behauptet gar, nie Mitglied der IRA gewesen zu sein. Letzteres erweckt in beiden Teilen Irlands Heiterkeit, denn Adams wurde 1972 auf Wunsch der IRA aus einem Internierungslager nach London ausgeflogen, um im Namen der IRA mit der britischen Regierung über einen Waffenstillstand zu verhandeln.
Pressekonferenz von Gerry Adams nach seiner Entlassung
Der stellvertretende Chefminister Nordirlands, Martin McGuinness, ein langjähriger Gefährte von Adams, reagierte mit unverhohlenem Zorn auf die Verhaftung und Einvernahme seines Parteichefs. Er beschuldigte die Polizei der Befangenheit: Sie wolle Sinn Féins Wahlchancen in beiden Teilen Irlands beeinträchtigen.
Nach seiner Freilassung wiederholte Adams diese Lesart der Ereignisse: Es gebe Kreise in der Polizei, die sich nicht mit dem Friedensprozess abgefunden hätten. Doch Adams nahm diese Gelegenheit auch wahr, um eine wichtige Korrektur anzubringen. Am Freitagnachmittag hatte sein Kollege McGuinness gedroht, im Falle einer Anklageerhebung werde Sinn Féin ihre Unterstützung für die Polizei neu überdenken müssen. Das kam dem Spiel mit dem Feuer gleich, denn Sinn Féins Entscheidung 2007, die Polizei als legitime Staatsgewalt anzuerkennen, war die letzte Voraussetzung zur Bildung der heute noch amtierenden Koalitionsregierung gewesen. Adams dagegen stellte klar fest, er bleibe dem Friedensprozess verpflichtet und unterstütze die Polizei.
Ungelöste Probleme
Die nordirischen Parteien hatten in den letzten Tagen von 2013 unter US-amerikanischer Betreuung versucht, Kompromisse beim Umgang mit ungelösten Problemen zu erzielen: Es ging um Paraden, um den Umgang mit Flaggen und anderen Symbolen sowie um die Behandlung ungelöster Gewaltverbrechen während des akuten Konflikts. Sie hatten sich damals nicht einigen können; doch nun drängen die britische und die irische Regierung auf einen neuen Anlauf: Es kann nicht sein, dass die Justiz die unerledigten Aufgaben der Politik bewältigt. (Martin Alioth aus Dublin, DER STANDARD, 6.5.2014)