Im Getümmel war es nicht zu erkennen: War das ein absichtlicher Handshake oder bloß ungewollte Tuchfühlung zwischen dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem ukrainischen Counterpart Andrij Deschtschyzja? Jedenfalls konnte beim Außenministertreffen des Europarats in der Wiener Hofburg von Annäherung oder gar Versöhnung keine Rede sein: Der Konflikt bleibt brisant. Man wusste am Dienstag nicht einmal, wann, wo und in welchem Format man weiterverhandeln wird.
An Russland soll es nach eigener Deutung freilich nicht liegen: "Wir haben nochmals betont, dass wir den Dialog führen wollen. Aber niemand kann eine Lösung liefern, außer die Ukrainer selbst. Und zwar alle", sagte Lawrow bei einer Pressekonferenz. Er forderte, dass weitere Verhandlungsrunden - wie jene Mitte April in Genf - für Moskau nur dann Sinn mache, wenn die "Opposition", wie er die Vertreter der prorussischen Separatisten nannte, eingebunden werde. Eine andere Konstellation "würde uns der Lösung keinesfalls näherbringen".
Deutliche Kritik brachte Lawrow an der für 25. Mai geplanten Präsidentenwahl an: Diese solle verschoben werden, bis es eine neue Verfassung gebe. Niemand könne heute wissen, welche verfassungsrechtlichen Kompetenzen der künftige Präsident der Ukraine erhalte. Würde er aber bereits jetzt gewählt werden, dann begebe man sich in eine ungewisse, unsichere Situation, die Lawrow als "bizarr" bezeichnete. "Wie auch immer. Wir betreiben keinen Regimewechsel", hielt er fest.
Zur Deeskalation müsse dennoch vor allem Moskau beitragen, entgegnete Lawrows ukrainischer Kollege Deschtschyzja. "Russland muss die Beschlüsse der Genfer Konferenz umsetzen, um eine Deeskalation zu erzielen." Moskau müsse "die Wahl zulassen und darf sie nicht stören". Die Präsidentenwahl, die dem Land endgültig eine demokratisch legitimierte Führung bescheren würde, habe für Deschtschyzja eine noch größere Priorität als allfällige weitere Verhandlungen.
Unterstützung des Europarats
Enorme Wichtigkeit räumt auch der Europarat diesem Urnengang ein: Fast einstimmig, mit Ausnahme Russlands, unterstützte er dessen Abhaltung am 25. Mai.
Auf Lawrows Forderung, künftig auch die Separatisten einzuladen, konterte Deschtschyzja kühl: "Die ukrainische Regierung, der ich angehöre, vertritt bereits alle Ukrainer." Folge man Lawrow, so könne Russland dann "plötzlich auf die Idee kommen, sogar Vertreter aus Tschetschenien" nominieren zu wollen.
Der österreichische Gastgeber Sebastian Kurz zeigte sich nach eigenen Worten "fassungslos": Seine Generation (er ist 27 Jahre alt) habe niemals geglaubt, dass ein Szenario passieren könne, das an eine Wiederholung des Kalten Krieges erinnert. "Der Kalte Krieg soll dort bleiben, wo er hingehört: nämlich in die Geschichtsbücher", so der Außenminister.
Der österreichische Außenminister sagte, die Konferenz in Wien habe das Ziel gehabt, einen diplomatischen Beitrag zur Deeskalation zu liefern. Noch kurz vor dem Gipfel hatten Moskau und Kiew die Absicht geäußert, Resolutionen einzubringen, über die dann abgestimmt werden sollte - doch schließlich machten beide einen Rückzieher. "Das war gescheit", so Kurz zum Standard. "Wir müssen den Dialog fördern, nicht Gegensätze." Russland bezeichnete Kurz in der Causa als "international isoliert".
Wegen eines sehr knappen Terminplans reiste der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zwar nach Wien, musste aber am Flughafen Schwechat bleiben. Er zeigte sich erschüttert über die "Tragödie von Odessa"; das Blutvergießen müsse sofort gestoppt werden. Mit Lawrow sprach Steinmeier am Flughafen fast eine Stunde lang, danach traf er sich auch mit Deschtschyzja. Bei beiden deponierte er seine Hoffnung, dass die Genfer Gespräche eine Fortsetzung finden. (Gianluca Wallisch, Bert Eder, DER STANDARD, 7.5.2014)