Mark von Traisenthal war ein radikaler NS-Aktivist und schickte Liebesbriefe an die Jüdin Gertrud Feuchtwanger.

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Graz - Als der Grazer Bäckergehilfe Emil Jestl am 24. September 1934 in Richtung Oberschöckl fuhr, wurde an ihm ein Exempel statuiert. Statt ihm wie versprochen ein verstecktes Maschinengewehr zu zeigen, schoss der mit ihm verabredete SA-Sturmführer Peter Ritzinger mehrmals auf den jungen Mann. Jestl überlebte schwer verletzt.

Er war das Opfer eines Mordversuchs von Rechten geworden, denn der Bäckergehilfe hatte den steirischen Behörden "wiederholt wertvolle Angaben" zur damals in Österreich noch illegalen NSDAP und ihren Aktivitäten geliefert. Für diesen "Verrat" sollte er büßen. "Während sich das Gros nationalsozialistischer Gewalttaten bis zum Verbot der NSDAP im Juni 1933 gegen Sozialdemokraten, Schutzbündler, Kommunisten und später gegen Repräsentanten des Dollfuß-Regimes richtete, setzte man nach dem gescheiterten Putschversuch vom 25. Juli 1934 auf eine systematische Unterwanderung der staatlichen Institutionen", sagt der Wiener Zeithistoriker Hans Schafranek. Er fand heraus, dass in der Folge fast die Hälfte aller in Österreich verübten politischen Morde zwischen dem Juliputsch und dem "Anschluss" 1938 sogenannte "Fememorde" durch Nazis zur Einschüchterung potenzieller Verräter und abtrünniger "Parteigenossen" waren. "Feme" leitet sich vom mittelniederdeutschen Begriff für Bestrafung ab.

In seinem vom Zukunftsfonds geförderten Forschungsprojekt über österreichische Nazis, die bereits vor 1938 der SS angehörten, hat Schafranek eine umfangreiche Datenbank mit biografischen Angaben zu rund 3500 "Illegalen" aufgebaut. Aus diesen Daten kristallisierten sich etwa 30 Tätergruppen heraus, darunter auch jene der Fememörder.

Lücken im Sicherheitswesen

Diese Morde sollten den Eindruck einer umfassenden Kontrolle durch die "Illegalen" vermitteln. "Die Aufdeckung und 'Liquidierung' von Spitzeln oder V-Leuten innerhalb der illegalen NS-Bewegung bedeuteten für die Behörden des Ständestaates einen schweren Schlag", weiß der Historiker. "Sie machten empfindliche Lücken im Sicherheitswesen sichtbar, demonstrierten den Grad der NS-Unterwanderung staatlicher Organe und erschwerten dadurch die Bekämpfung des nationalsozialistischen Untergrunds."

So heißt es im Lagebericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit im Mai 1936: "Es wird auch immer schwerer, unter den Nationalsozialisten selbst geeignete Vertrauensleute zu gewinnen, da die Angst vor der Feme sehr groß ist. So kommt es, dass die Quellen des bei den Sicherheitsbehörden eingerichteten Nachrichtendienstes über die nationalsozialistische Partei vielfach versiegen (...)." Die meisten der rund 20 nach 1933 bekanntgewordenen Fememorde wurden nie wirklich aufgeklärt.

Mitunter wurden zwar einige der zahlreichen Helfer und Mitwisser verhaftet, die unmittelbaren Täter aber konnten alle ins Deutsche Reich flüchten, wo sie von der Gestapo mit neuen Identitäten ausgestattet wurden. Deshalb konnte vor 1938 kein einziger Fememörder in Österreich vor Gericht gestellt werden. Noch weniger wusste man über die Hintermänner und Auftraggeber der Morde - wie beispielsweise den SA-Führer Günther Mark von Traisenthal.

Dieser legte nicht nur ein riesiges Sprengstoffdepot für die Nazis an und besorgte gefälschte Pässe für die Wiener NS-Führer, sondern organisierte auch den Fememord am Wiener Tuchhändler Kornelius Zimmer und ein Bombenattentat auf einen Polizisten. Erst Hans Schafranek konnte nach fast 80 Jahren die zentrale Rolle des radikalen NS-Aktivisten im aufsehenerregenden Mordfall Zimmer aufdecken.

Er fand heraus, dass Traisenthal nach diesem Mord ins Deutsche Reich flüchtete, zuvor aber noch einen völlig unschuldigen Beamten der Tabakregie, der einen NS-Aktivisten entlassen hatte, verleumdete und denunzierte. In München wurde Traisenthal sofort in die Österreichische Legion aufgenommen.

Im Zuge seiner "Flüchtlingsüberprüfung" im Februar 1936 schildert er seine diversen Verbrechen detailliert in einer eidesstattlichen Erklärung: "Juni 34 Befehl v. d. Obergr. XI München zur Beseitigung d. Pol. Mjr. Nosko u. des Wr. Staffelführers Corn. Organisation und Durchführung anfangs Juli 1934. Erschießung v. Corn. Zimmer in seiner Whg. (...) Ausfertigung und Ausgabe von ca. 60 falschen Pässen an führende Pgs u. SA-Führer, die flüchten mussten (...)". Traisenthals "Flüchtlingsüberprüfung" war wegen seines SA-Ausschlusses aufgrund eines für ihn peinlichen Vorkommnisses notwendig geworden: Er hätte sich nämlich fast der "Rassenschande" schuldig gemacht.

Unstatthafte Begierde

Ziel seiner unstatthaften Begierde war die Schwägerin des berühmten jüdischen Schriftstellers Lion Feuchtwanger. Bei einer polizeilichen Durchsuchung ihrer Wohnung nach kommunistischem Material fand man folgende Zeilen von Günther Mark von Traisenthal, der die attraktive Frau in einem Münchner Kaffeehaus gesehen hatte: "Der strenge und energische Eindruck Ihrer Erscheinung lässt mich Ihre Bekanntschaft ersehnen (...)."

Gertrud Feuchtwanger reagierte mit deutlicher Ironie: "Aber Herr M. v. T., ich muss Ihnen Kummer bereiten, ich bin nämlich keine Nazisse, sondern oh Schreck oh Graus nur eine Jüdin (...). Ich möchte weder die erbbiologischen Prinzipien des N. verletzen noch zur weiteren Verjudung des Adels beitragen. Sie sehen, wie ernst es mir mit der Reinhaltung Ihrer Rasse ist. Ihre Sehnsucht müssen Sie also heldisch unterdrücken, es sei denn, es würde Ihnen ein Pogrömchen zu Hilfe kommen (...). Seien Sie nicht traurig, Herr v. T., dass Ihr Rasseninstinkt Sie betrog, auch das muss gelernt sein (...)."

Drei Jahre Strafe

Diese Abfuhr animierte Traisenthal offenbar noch mehr, denn er sandte Gertrud Feuchtwanger eine mit Auszügen aus einem nach Standards der Nationalsozialisten "pornografischen" Buch gespickte mehrseitige Antwort. Auch diese fand die Polizei bei der Durchsuchung der Feuchtwanger'schen Wohnung.

Traisenthal handelte sich damit eine einmonatige Gefängnisstrafe ein. Seine Morde blieben allerdings auch nach der Nazizeit ungeahndet, 1949 wurde er lediglich wegen "Hochverrats" im Sinne des Verbotsgesetzes zu drei Jahren Kerker verurteilt. (Doris Griesser, DER STANDARD, 7.5.2014)