Wien - Das Jahr 1848 steht für das Aufbegehren des Bürgertums gegen die Monarchie. Nachdem die Februarrevolution in Frankreich zum Sturz von König Louis-Philippe I. und zur Ausrufung der Französischen Republik geführt hatte, schwappte eine Welle der Euphorie auf weite Teile Europas über. In Österreich gipfelte der Wunsch nach einer liberalen Politik in der Märzrevolution.
Die Universität Wien setzte sich vergangene Woche im Rahmen der Veranstaltung "Geschichte und Gegenwartsdiskussion der 1848er Revolution in Wien" mit dem geschichtsträchtigen Jahr auseinander. Gabriella Hauch, Professorin für Frauen- und Geschlechtergeschichte an der Universität Wien, beschrieb die Märztage zu Beginn ihres Vortrags über den "Mythos vom Reich der Freiheit" als "spektakulär". Im Zuge von Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit in Europa erreichte der Revolutionsgedanke die Wiener Vorstädte. Die Forderung: eine liberale und demokratische Veränderung in der Regierungspolitik, die unter der Herrschaft von Staatskanzler Klemens Wenzel Metternich stand. Getragen von der Arbeiterklasse und Studierenden wurde der Ruf nach einer Verfassung und der Abkehr vom Metternich'schen System, das sich durch Zensur und Überwachung auszeichnete, immer lauter. Die Revolution stellt für Hauch "das erste öffentliche Aufbegehren gegen den gesellschaftspolitischen Absolutismus" dar.
Revolutionäre Insel
Die revolutionäre Bewegung zwang den Staatskanzler am 13. März 1848 zum Rücktritt und ins englische Exil: das Ende des Metternich'schen Systems, jedoch nicht das der Habsburgermonarchie. Man kam dem Wunsch einer Verfassung entgegen: Dass diese jedoch ohne eine Volksvertretung umgesetzt wurde, führte am 23. August 1848 zum "zweiten Wiener Aufstand" . Nach siebeneinhalb Monaten im Sinne von "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" kam es zur Kapitulation der Aufständischen und zum Rückfall in den Neoabsolutismus. "Wien war eine revolutionäre Insel, umzingelt von habsburgischen Armeen", sagte Hauch.
Im Zentrum von Hauchs Vortrag standen die verschiedenen Kräfte, die die Geschehnisse als "ihre Revolution" vereinnahmen und sie nach 166 Jahren noch immer als wichtigen Teil der eigenen Identität sehen: "Viele politische Gruppen verorten ihre ideologischen Wurzeln im Sturmjahr", sagte die Historikerin. Die Wiener Revolution sei ein "klassenübergreifendes Fest" gewesen, da Studierende, Frauen, Fabriksarbeiter und Akademiker mobilisierten. "Die Aktionsformen entsprachen dem jeweiligen bürgerlichen und politischen Milieu", analysierte Hauch. Studierende brachten Petitionen ein, Frauen lehnten während der Proteste als Zeichen der Solidarität in den Fenstern.
Im Anschluss sprach Bernhard Weidinger, Lehrbeauftragter der Universität Wien, über "1848 als Gegenstand burschenschaftlicher Geschichtspolitik". Die Revolution würde, sagte Weidinger, von Burschenschaftern als "Chiffre zur Verteidigung" verwendet. In politischen Diskussionen würden sie sich durch ihr Mitwirken an der Märzrevolution als "Demokraten der ersten Stunde" beschreiben, um zu beweisen, dass sie keine Gefahr für die Demokratie darstellen würden. Im Gegenteil: Sie hätten gezeigt, dass sie deren "Antreiber" seien.
Aktuell werde diese Geschichtspolitik, erzählt der Politikwissenschafter, von der FPÖ wieder aufgegriffen. Statt des Totengedenkens am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, feiern die Freiheitlichen am 4. Juni das Fest der Freiheit - als Gedenken an die Revolution 1848. Weidinger sieht darin eine "politische Legitimierung", um "ideologische Breite zu suggerieren". (Oona Kroisleitner und Selina Thaler, DER STANDARD, 7.5.2014)