Mit der Freiluftinszenierung von Aischylos' "Persern" auf einem Flugplatz nahe Berlin verleiht Regisseur Martin Wuttke dem antiken Kriegsdrama eine neue Perspektive: ein Sommerspektakel.


Neuhardenberg - Die Perser haben den Krieg verloren. Mit ihrer letzten Habe irren sie durch das verwüstete Land. Schließlich erreichen die Flüchtlinge ein Rollfeld: Die Tragödie Die Perser von Aischylos (524-455 v. Chr.) feierte am Donnerstagabend auf dem Flugplatz Neuhardenberg in Brandenburg eine viel beachtete Premiere.

Regisseur Martin Wuttke, ein gelernter Einar-Schleef-Schauspieler, der kurzzeitig auch das Berliner Ensemble leitete und nunmehr in Frank Castorfs konkurrenzlosem Volksbühnen-Ensemble arbeitet, machte den riesigen Hangar zum Zuschauerraum, Rollfeld und Umland hingegen zur Bühne. Bereits zum zweiten Mal inszenierte er auf dem einstigen DDR-Regierungsflugplatz.

Das Ensemble um Sophie Rois (Königmutter Atossa) agiert meist fernab der Zuschauersicht. Wald, Feld und Flur, aber auch verfallene Gebäude werden zu Schauplätzen. Ein Koffer rutscht über das Rollfeld: Das Vermögen Persiens wird auf der wilden Flucht zurückgelassen. "Was wird aus Reichtum, den keiner beschützt", fragt sich Rois mehrfach. Sie irrt viel umher und dreht minutenlang auf dem Sozius endlose Moped-Runden.

Kamerateams begleiten die Gestrandeten. Das Theater findet für die rund 300 Besucher zu großen Teilen auf einer Leinwand oder auf Fernsehbildschirmen statt. Die Inszenierung lässt daher an ein antikes Roadmovie denken: Die siegeszuversichtlichen Perser fallen aus allen Wolken.

Entfernt sich der Tross vom gewaltigen Hangar, in dem das Publikum unbequem auf einer Traverse sitzt, kommt er auf der Leinwand dem Zuschauer in gegengleicher Bewegung entgegen.

Nah- und Fernsicht

Die Kameras ermöglichen blicktechnische Nah- wie Ferneinstellungen. Szenen spielen in weit entfernten Räumen oder im intimen Inneren eines Automobils. Alles wird hautnah herangezoomt; die Kamera eröffnet als perspektivische Instanz den Zugang des Zuschauers zur Szene.

Ein Feuerlöschteich steht für das Meer, in dem die Griechen im Jahr 480 vor Christus in der Schlacht um Salamis Hunderte Schiffe der Perser versenkten. Der Perserkönig Xerxes, vom jungen Alexander Scheer gespielt, schreit und plantscht sich seine Kriegserlebnisse aus Verlierersicht aus dem Leib. Seine Mutter verlangt nach einem Handtuch für ihn.

Oft erklingt griechische Musik, Fluglärm und Explosionen erschüttern die grelle Szenerie. Der in ein üppiges Farbspiel getauchte Wald gerät zum Schauplatz fürchterlicher Erinnerungen. Im Inferno schnappt der Zuschauer vereinzelte Wortfetzen auf: Russen, Berlin, fehlende Mädchen. Es geht um Krieg, Sieg und Niederlage. Immer wieder stellt Wuttke einen Bezug zur Gegenwart her.

Geschichtlicher Ort

Der Ort ist dafür geradezu ideal: Neuhardenberg liegt nur wenige Kilometer östlich von Berlin. Der zweieinhalb Hektar große Flugplatz befindet sich inmitten des Schlachtfeldes, auf dem im Frühjahr 1945 der Kampf um die Seelower Höhen tobte. Mehr als 55.000 sowjetische, deutsche und polnische Soldaten kamen nur wenige Tage vor Kriegsende ums Leben.

Auch mehr als 50 Jahre danach werden immer noch mit schöner Regelmäßigkeit Erkennungsmarken, Knochen oder Granatsplitter aus dem märkischen Sand gegraben. Die Geschichtsmächtigkeit dieses Orts baut Wuttke in das Stück ein: Die Geschichte von der entscheidenden Schlacht der Sowjets wird in seiner Inszenierungsversion wiederholt angerissen.

Alexander Scheer fördert zahlreiche Fundstücke zutage. An anderer Stelle berichtet er im Stil eines Fernsehreporters aus dem Krieg und bringt ihn über die Mattscheibe ins Wohnzimmer. Auch unter dem Rollfeld liegen noch tote Soldaten.

Die Produktion ist eine Kooperation der Stiftung Schloss Neuhardenberg und des ZDF-Theaterkanals, der eine geradezu rastlose Tätigkeit entfaltet. Das Premierenpublikum dankte den Beteiligten mit freundlichem Applaus.

Neben Rois und Scheer spielen Volker Spengler, Hendrik Arnst, Stefan Lisewski und Uwe Steinbruch sowie Sarah Rolke, Christin Worbs und Susann Worbs. Die Ausstattung schuf Nina von Mechow, die Musik besorgte Sir Henry. Für die gut zweistündige Inszenierung wählte Wuttke übrigens die Stückfassung von Büchnerpreisträger Durs Grünbein. (DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.8.2003)