Eine Debatte über die ÖIAG zu führen, ohne permanent vom wirtschaftlichen auf das politische Gleis und wieder zurück zu wechseln, ist in Österreich so gut wie unmöglich. Das hat zum Teil mit den Strukturen zu tun, auf denen die Schienen dieser Gleise laufen, zum Teil mit ihrer Geschichte und damit mit den Personen, die sie verlegt haben und die sich bis heute als Weichensteller betätigen.

Es ist natürlich richtig, wenn Finanzminister Karl-Heinz Grasser anmerkt, die SPÖ nütze die Sondersitzung im Parlament, um das Leitthema ihres oberösterreichischen Wahlkampfes, den Verkauf der Voest, auf einer großen Bühne zu inszenieren. Daraus aber abzuleiten, dass diese Regierung die ÖIAG aus der politischen Verflechtung der vergangenen Jahrzehnte gelöst und damit diese Geschichte liquidiert habe, ist eine polemische Verkürzung der Fakten. Die sind Grasser ebenso bewusst wie die Doppelbödigkeiten seiner Klagen, er habe "unter Zeitdruck" die Neubesetzung des ÖIAG-Aufsichtrates durchziehen müssen, weil die roten Betonschädel im Wendejahr 2000 vor dem Ruf der Privatisierer die Ohren verschlossen hätten.

Erstens hat Grasser niemanden zu jener Eile gezwungen, die genau den Unterschleif produzierte, den der Rechnungshof nun als fragwürdig und gesetzeswidrig kritisiert. Hier scheint die Eile passendes Mittel zum Zweck gewesen zu sein, die einflussreichsten Gremien im ehemals verstaatlichten Bereich so rasch umzufärben, dass sich die Proteste dagegen angesichts der auftrocknenden neuen Farbe in Nichts auflösen würden.

Zweitens ist Grassers Analogieschluss daraus, mit dem neuen ÖIAG-Vorstand habe man mit "politischen" Besetzungen gebrochen, schlichtweg unrichtig: Alfred Heinzel, Veit Sorger, Veit Schalle, Siegfried Wolf, Jürgen Hubbert sind der ÖIAG bei allem Respekt vor ihren Leistungen als Manager gewiss nicht aus einem Bereich zugewachsen, der dem Umfeld unfreundlich gegenübergestanden wäre, in dem sich etwa die Unternehmer Thomas Prinzhorn und Martin Bartenstein, aber auch Grassers früherer Arbeitgeber Frank Stronach bewegen.

Der qualitative Unterschied in den Rekrutierungsmethoden dieses Teams - verglichen mit denen der SPÖ - ist also nicht auszunehmen: Es sei denn, man nimmt den Rechnungshof ernst, der die Art und Weise, wie ein Prinzhorn nahe stehender Personalberater mit der "Beratung" betraut wurde, vernichtend kritisiert.

Weiters ist das Lob, das Grasser sich und diesem Aufsichtsrat für den Abbau der ÖIAG-Schulden auf die Fahnen heftet, fadenscheinig: Ein Großteil der Reduktion von 6,3 Milliarden auf rund zwei Milliarden Schulden wurde noch vom alten Aufsichtsrat in die Wege geleitet - und das sollte man, wenn man sich schon als politischer Geschichtsschreiber versucht, auch nicht vergessen.

Ebenso wäre zu hinterfragen, inwieweit die Privatisierung der Filetstücke der ÖIAG tatsächlich die "Erfolgsstory" ist, als die sie Grasser bezeichnet: Es gibt mehr als eine Rechnung, die den Verlust an Steuereinnahmen nach einer Privatisierung - Stichwort Austria Tabak - als mittelfristig schmerzhafter veranschlagt als die kurzfristige Erleichterung durch Erlöse aus dem Verkauf.

An der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Verantwortung Grassers für das Schicksal der ÖIAG ist so wenig zu rütteln, dass es angebracht wäre, auf historische Reminiszenzen und daraus abgeleitete Handlungsanleitungen zu verzichten.

Stärker als an der Sondersitzung, welche die SPÖ mehr oder weniger intensiv abwickeln wird, dürfte Grasser an seinen eigenen Ankündigungen zu kiefeln haben: Unter anderem an der, die Unternehmen der ÖIAG so zu verkaufen, dass der Kernbereich in österreichischer Hand bleiben und damit die heimische Wirtschaft gestärkt wird. Das wird man sich nicht nur hier, sondern auch in jenen EU-Gremien mit Interesse anschauen, die sich hauptberuflich der Wettbewerbsverzerrung in der Union widmen. (Der standard, Printausgabe, 23.08.2003)