Nicht einmal das jüngste Selbstmordattentat in Jerusalem wird den palästinensischen Premierminister Mahmud Abbas (Abu Mazen) dazu bringen, die Aktivisten von Hamas und Islamischer Djihad mit aller Härte zu verfolgen. Er und seine Minister in der palästinensischen Regierung werden islamische Fanatiker nicht mit Gewalt in die Schranken weisen, sie werden nicht einmal ihre Waffen konfiszieren. Abbas und sein Sicherheitschef Mohammed Dahlan stehen vonseiten der USA zweifellos unter großem Druck, genau das zu tun, auch die israelische Regierung besteht darauf. Aber in Anbetracht der derzeitigen Situation im Westjordanland und im Gazastreifen ist das schlicht unmöglich.

In Gaza mag es für Abbas und Dahlan angeblich kein Problem sein, Hamas und Djihad mit Gewalt ruhig zu halten. Rund 50.000 Leute stehen im Sold der Sicherheitskräfte. Viele von ihnen tragen Waffen, und rein zahlenmäßig sind sie weit mehr als jene, die in islamischen Organisationen bewaffnet sind.

Israelische und palästinensische Geheimdienstquellen schätzen die Zahl der Mitglieder der bewaffneten Flügel von Hamas und Djihad auf ein paar Hundert, vielleicht eintausend. Daher sollte es für die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) kein Problem darstellen, ihnen gegenüberzutreten.

Das Problem ist aber nicht nur die Zahl der Soldaten auf beiden Seiten. Die öffentliche Meinung zählt viel. Und in Gaza gibt es Hinweise darauf, dass die Unterstützung für die islamischen Organisationen nicht geringer ist als jene für die Palästinensische Autonomiebehörde. Sollte sich Abbas entschließen, gegen die strenggläubigen Muslime mit Gewalt vorzugehen, wird die Unterstützung für sie steigen. Und der Palästinenserpremier wird als Verräter angesehen, der Israel nützt, indem er einen Bürgerkrieg anzettelt.

Hamas- und Djihad-Aktivisten in Gaza haben oft genug gezeigt, dass sie nicht aufgeben. Vor etwa einem Jahr beispielsweise ermordeten Hamas-Mitglieder, die zum Al-Aql-Clan aus dem Flüchtlingslager Nusayrat gehörten, Rajeh Abu Lehiya, einen Oberkommandierenden der Palästinensischen Sicherheitskräfte. Sie entführten ihn auf einer Hauptstraße in Gaza und exekutierten ihn, weil er ein Jahr zuvor das Feuer auf Studenten - Hamas-Unterstützer - eröffnet hatte, um die Gruppe zu zerstreuen. Drei von ihnen wurden getötet.

Rakete auf General

Palästinensische Sicherheitsleute, die in das Lager kamen, um die Mörder zu verhaften, wurden von Tausenden Bewohnern angegriffen und flohen. Monatelang verhandelten Vertreter der Autonomiebehörde mit dem Al-Aql-Clan und der Hamas, um die Lage zu beruhigen. Ein anderer Zwischenfall ereignete sich vor einigen Wochen, als eine Rakete auf das Büro von General Moussa Arafat, den Chef des Militärischen Geheimdienstes, abgefeuert wurde und er wie durch ein Wunder überlebte.

All das sind Beispiele für die Entschlossenheit der muslimischen Fanatiker, deren Sprecher Abdel Asis el Rantissi nach dem Terrorangriff in Jerusalem mit deutlichem Zynismus meinte, dass dies nicht als Ende der "hudna" (Waffenruhe) angesehen werden dürfe. "Die 'hudna' wird fortgesetzt, aber unsere Reaktionen auf die Verbrechen des zionistischen Feindes ebenfalls", erklärte Rantissi, der den Terrorangriff voll und ganz rechtfertigte. Kurz darauf wurde die Waffenruhe auch offiziell beendet.

Im Gegensatz zur islamischen Entschlossenheit in Gaza, ist die Laschheit und Zögerlichkeit der palästinensischen Sicherheitskräfte offensichtlich. Als das palästinensische Fernsehen kürzlich die Verhaftung von Hamas-Aktivisten in Gaza filmte, wurden die palästinensischen Polizisten mit verhüllten Gesichtern gezeigt. Sie gehörten nicht zur Geheimpolizei, sondern zu einer ganz normalen Einheit. Vermutlich verhüllten sie ihre Gesichter aus Scham darüber, was sie gerade taten, und vielleicht auch aus Angst, dass die Verhaftungen gerächt werden würden.

Von Israel zerschlagen

Das ist die Situation in Gaza, wo die Sicherheitsorganisationen kaum zerschlagen wurden. Im Westjordanland dagegen wurde das palästinensische Sicherheitssystem in der israelischen Militäroffensive im Frühjahr 2002 fast völlig ausgelöscht. Durch dessen Eliminierung ging die Verantwortung für die Sicherheit der Städte im Westjordanland von der Autoritätsbehörde auf die israelischen Abwehrkräfte über.

Demnach kann man sich schwerlich bei Abu Mazen und Dahlan beklagen, dass sie die islamischen Organisationen in Nablus, Jenin und Hebron nicht mit Gewalt unterdrücken. Abu Mazen kann die Hamas warnen, wütend auf sie sein und den Kontakt mit ihr abbrechen. Aber sollte er versuchen, sich ihr entgegenzustellen, ist das, soweit es ihn betrifft, ein Akt politischen Selbstmordes, vielleicht nicht einmal nur politisch gesehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2003)