Das Theater des Verhinderns und seine Produktion "Sesselkrieg zwischen allen Stühlen" im Wiener Wuk.


Foto: Ropac

Wien - Eine Stuhlprobe verlangt der Künstler Julius Deutschbauer vom Publikum nicht direkt. Aber er hat immerhin die Toiletten für den großen Saal des Wuk verlegt. Wer also während der Aufführung von Sesselkrieg zwischen allen Stühlen (bis 10. 5.) muss, kann auch. Aber nur in einem der beiden Dixis namens "Stuhlgang 1" und "Stuhlgang 2" auf der Bühne. Das von Deutschbauer regimentierte Theater des Verhinderns musste diesmal sesseln (vgl. bitte nicht mit dem Zeichentrickfilm Werner - Das muss kesseln!!! nach Brösel, der ist schon 18 Jahre her).

Die nach ihrer Gründung 2008 heute zu den wichtigsten unmöglichen Theatern von Wien zählende Gruppe näherte sich ihrem angehenden Ruhm bisher mit Werken wie Mein allerliebster Aschenbecher im Gasthof Sittl oder einem Suhrcamp in der Kunsthalle Wien. Nun beginnt ein Sesseltreiben, und zwar mit der Analyse eines Nachrichtenagenturvideos über die Begegnung zwischen Siemens-CEO Joe Kaeser und Wladimir Putin. Da sieht man Kaeser verspannt auf Putin starren und auf seinem Stuhl hart schlucken.

Und die Komposition des Videobildes zeigt eine umgekehrte Illuminati-Pyramide. Nach dieser Vertiefung gibt Deutschbauer, ganz der Professor, vom Pult herab seinen brav in vier Sesselreihen sitzenden Studierenden etwas zu schlucken, als er sie abzuprüfen beginnt: "Stuhl und Aberglaube?" oder "Sessel und Sessellift?" Gefragt sind literarische Assoziationen.

Logisch, dass dann einer, der trotz Aufzeigen nie drankommt, seine Sitzgelegenheit zerschmettert und zur Kettensäge greift. Das Seminar wird wild. Eine schwangere Studentin setzt sich auf ein Sesselpodest und gibt eine Tour de Force des Stuhls durch die weite Bücherwelt zum Besten: Emily Brontë, Tucholski, Hannah Arendt, Thomas Trenkler, Konrad Bayer, Natascha Kampusch, das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Ludwig Wittgenstein und die Mutzenbacherin. Sie alle haben Sesselsätze in Druck gegeben, die im Stück zum Teil dezent szenisch interpretiert werden, während Deutschbauer dem Publikum Stuhl um Stuhl entzieht und einen schiefen Buch-Stuhl-Pisaturm baut.

Was dabei unterm Strich - komplett mit Sesselreigen und Sesseltanzdisco - serviert wird, ist nicht weniger als ein kulturhistorischer Aufschnitt des vom Weltwahnsinn gebeizten menschlichen Sitzfleisches zwischen Kleist und Kim Jong-un, Freud und Schlingensief, dem Nichts (Peter Glaser) und dem Nationalsozialismus (Gerhard Botz). So treibt das Theater des Verhinderns buchstäblich ein Spiel mit dem "Ent-Setzen". Schwärzester Humor inbegriffen. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 9.5.2014)