Ein Lebensweg von Innsbruck nach Israel: Erich Weinreb (li.) mit seinem Bruder und Onkel im Rapoldipark.

Foto: privat

1939 flüchtete Gafni als Zehnjähriger vor den Nazis, aus Erich Weinreb wurde Abraham Gafni.

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Innsbruck - Es ist nicht nur seine Geschichte, es ist auch die Leichtigkeit, mit der er sie erzählt, die einem den Atem stocken lässt. Abraham Gafni wurde im Jahr 1928 als Erich Weinreb in Innsbruck geboren. Als er zehn Jahre alt war, musste er - ohne zu wissen, was ihm geschieht - seine Familie verlassen, um am Leben zu bleiben.

"Ich hatte in Innsbruck eine schöne Kindheit. Die Nonnen im Kindergarten machten nie einen Unterschied, nur weil ich jüdisch war." Es müsse Anfang des Jahres 1938 gewesen sein, erzählt Gafni, als er bemerkte, dass sich etwas verändert hatte. "Es war für mich komisch, dass plötzlich alle böse waren mit mir." Nach dem "Anschluss" Österreichs im März 1938 bekam er einen neuen Volksschullehrer. "Der ließ uns der Reihe nach aufstehen, und bei mir sagte er: Erich Weinreb, da haben wir so eine kleine Judensau."

Nach Wien vertrieben

Er habe das damals nicht verstanden: "Ich wusste, dass ich Jude bin, aber was das bedeutet, hatte ich keine Ahnung. All meine Freunde waren Christen, und ich ging mit ihnen in die Kirche." Seiner strenggläubigen Großmutter, bei der Gafni und seine Geschwister aufwuchsen, nachdem ihre Mutter verstorben war, habe er davon erzählt. "Die hat bloß gesagt, dass ich das ruhig machen kann, dass es nur einen Gott gibt."

Nach der Pogromnacht im November 1938, in der in Innsbruck drei Männer ermordet und zahlreiche Menschen verletzt wurden, vertrieben die Nazis Gafni und seine Familie nach Wien. Als wäre es gestern gewesen, habe er noch die Worte seiner Großmutter im Ohr: "Kinder, schaut gut auf Innsbruck, wer weiß, ob ihr das noch einmal sehen werdet."

Übers Meer nach Palästina

In Wien verbrachte er mehrere Monate. "Da konnte ich aber alles machen. Ich war blond. Die meisten Nazis sahen jüdischer aus als ich. Viele Texte ihrer Märsche kann ich bis heute auswendig." Im Mai 1939 brachte sein Großvater den zehnjährigen Erich und seinen kleinen Bruder zu einem Schiff. So kamen die beiden alleine zuerst über die Donau und dann über die Meere nach Palästina. "Dort kam ein fremder Mann und sagte, Erich, das ist hier kein Name, du bist jetzt Abraham. Und seither heiße ich so."

Die Brüder, deren Nachname fortan Gafni war, wurden in mehreren Pflegefamilien und Heimen untergebracht. Abraham ging zum Militär und beteiligte sich am Aufbau Israels. Als er seine Frau in den Fünfzigerjahren heiratete, wusste er noch nicht, was in Österreich geschehen war: Seine Schwester, sein Stiefvater, seine Großeltern, sie alle wurden in Konzentrationslagern ermordet.

Kein Verhältnis zum Glauben

"Heimat, meine Heimat ist Israel, weil ich für Israel alles getan habe. Was ich zu Österreich sagen kann? Dass ich da geboren bin. Und dass ich für die österreichischen Sportler mitfiebere."

Gafni spricht langsam, er ist ein besonnener Mann. Heute, sagt er, habe er kein Verhältnis mehr zum Glauben: "Ich bin sicher, dass meine Großmutter, eine Sekunde bevor man sie erschlagen oder erschossen hat, zu sich gesagt hat: 'Gott soll mir helfen.' Für mich hat derjenige, der Gott sein soll, bewiesen, dass er nicht existiert."

In Zeiten, in denen der "Antisemitismus wieder spürbar wird", sei es wichtig, dass Menschen wie er ihre Geschichten erzählen. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 10.5.2014)