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Auch während des Krieges spielten als Zeichen des Widerstands Musiker in der zerstörten Vijecnica

Foto: REUTERS/Peter Andrews (unten)/Dado Ruvic

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Foto: Adelheid Wölfl

"Rücktritt, Rücktritt", skandieren die Demonstranten auf der anderen Seite der Miljacka, des kleinen Flusses, der durch Sarajevo fließt, als die Politiker zum Festakt das neu restaurierte Rathaus betreten. "Rücktritt, Rücktritt", heißt es mittlerweile seit Monaten, wenn der Chef der bosniakischen Partei SDA, Bakir Izetbegović oder der Chef der Sozialdemokraten, Zlatko Lagumdžija von den Mitgliedern der bosnischen Demokratiebewegung gesichtet werden. Die Neueröffnung der im Krieg zerstörten Vijećnica ist da nur ein guter Anlass. 

Auch der Bürgermeister der Stadt, Ivo Komšić musste sich in den vergangenen Tagen viel Kritik gefallen lassen. Als er sagte, dass das Gebäude, das seit 18 Jahren mit Mitteln der Europäischen Union, anfangs auch von Österreich restauriert wird, nun wieder den Bürgern übergeben werde, war das Gelächter unter den Journalisten groß. Denn die Bürger durften am Freitag noch gar nicht in das elegante Gebäude betreten, das an maurische Bauwerke in Spanien erinnert (etwa an die Alhambra). Und bis zum Schluss war nicht mal klar, ob die Veranstaltung überhaupt "versichert" wurde. Das Gebäude wurde offiziell von der Stadt noch gar nicht "übernommen". 

Erst am Freitag stellte sich heraus, dass die Stadt eine Versicherung aufgenommen hat. "Was ist, wenn hier jemand zu brennen beginnt und auf mich herunter fällt ", flüsterte ein Diplomat zu Beginn des Festaktes. "Wer zahlt dann?". Am Freitag fehlte auch ein Security-Check und im Scherz wurden deshalb "Franz-Ferdinand-Szenarien" in der Vijećnica imaginiert, in Erinnerung an die Sicherheitsvorkehrungen beim Besuch des Thronfolgers im Rathaus vor hundert Jahren, die auch nicht besonders gut waren. 

Doch in Bosnien-Herzegowina ist man daran gewöhnt, dass niemals alles nach Plan läuft. Es wäre beinahe störend, wenn es jemals dazu kommen würde. Bürgermeister Ivo Komšić erzählte ein wenig von der Geschichte des Gebäudes. Er sagt etwa, dass Sarajevo 1899 ein Stadtstatut bekommen hat. Und die Zusammensetzung des Stadtrates war gar nicht so unähnlich nach religiösem Proporz aufgebaut, wie auch heute. Von den 27 Mitgliedern waren damals zwölf Muslime, sechs Katholiken, sechs Orthodoxe und drei Juden. 

Während die geladenen Gäste und Politiker der bosnischen Hymne und der Europahymne lauschen, die in der zentralen Halle des in Form einer Triangel erbauten Rathauses musiziert werden, warten die Bürger draußen. Tatsächlich ist das Gebäude ohnehin noch nicht wirklich bezugsfertig. Aus den mit filigranen, teils blauweißen, teils roten Malereien bedeckten Decken des Gebäudes ragen noch lose Kabel für Lampen. Noch Stunden vor der Eröffnung wurden schnell die Fenster geputzt und ein Mann ließ sich einen Strick um den Bauch binden um sich in die Miljacka abzuseilen und den Plastikmüll herauszufischen, der sich dort durch das hohe Wasser nach der Schneeschmelze angesammelt hat. 

Die Wiedereröffnung der Vijećnica am Freitagabend war in mehrerlei Hinsicht richtig bosnisch: Es wurde alles in letzter Minute gemacht, vieles improvisiert, alles lief dann doch wieder gut und es waren auch "Internationals" dabei, wie es nicht anders geht, in einem Staat, der noch immer keine volle Souveränität hat. Der Vertreter der Internationalen Gemeinschaft (Valentin Inzko) und der Vertreter der EU (Peter Sørensen) hielten Reden. Auch das gehört zum bosnischen Alltag. 

Für Amüsement sorgte das Programmheft, in dem auf die Minute genau angegeben wurde, welcher Programmpunkt folgen sollte: 20:34-20:36: Videopräsentation, 20:48- 20:53 "Als wenn ich ein Vogel wäre" ist da zu lesen. Tatsächlich mutet die pingelig genaue Angabe gerade in einem Land merkwürdig an, wo praktisch alles viel länger dauert, als geplant, niemals etwas zeitgerecht passiert und das Lebensmotto: "Langsam" – "Polako" lautet. 

Die Vijećnica hat eine runde Eingangshalle, einen darüberliegenden Arkadengang und ein buntes Glasdach, das in der Mai-Sonne diesen Freitag Licht und Farben auf die Besucher wirft. Die Vijećnica ist ein wunderschönes Gebäude, das damals vor 120 Jahren, als es während der österreichisch-ungarischen Okkupation gebaut wurde "ein Schock" (© Architekt Nedžad Mulaomerović) für die Stadt war, weil es mitten in den osmanischen Bazar groß und protzig hineingesetzt wurde. Aber dann wurde die Vijećnica in jugoslawischer Zeit zu einem "Ort des Geistes und der Kommunikation". Sie diente damals als Nationalbibliothek und man konnte dort nicht nur wirkliche Schätze finden, sondern ganz einfach auch studieren. Die Vijećnica war offen für ihre Bürger. 

Als im August 1992 bosnisch-serbische Truppen die Vijećnica beschossen und diese zu brennen begann und die Aschenfetzen der alten Bücher über der Stadt schwebten, saß das Trauma tief. Es war für viele Bürger so, als hätte man das Herz der Stadt getroffen. 

Der Architekt der für den Wiederaufbau zuständig ist, Nedžad Mulaomerović hat mit seinen Kollegen ab 2006 direkt in dem zerstörten Gebäude sein Quartier aufgeschlagen. "Wir mussten für bestimmte Details und Abmessungen in der Nähe sein", erzählt er dem Standard. Drei Jahre lang hat sein Team Forschungsarbeit geleistet. Man suchte in Archiven nach den Originalplänen und wurde durch einen Quellenverweis in einem Buch auf das Kaptol-Archiv in Zagreb aufmerksam, wo man die originalen Pläne für die Vijećnica fand. Denn der letzte Architekt, der die Vijećnica Ende des 19. Jahrhundert fertig baute, war Ćiril Iveković, der die Unterlagen in Zagreb verwahrte. 

"Wir haben auch viele originale Fotos von den Bürgern bekommen, die die Vijećnica als Besucher der Nationalbibliothek von innen fotografiert hatten", erzählt Mulaomerović. Denn offizielle Fotos gab es nur von den Repräsentationsräumen und da fehlten aber viele Details. Insofern haben die Bürger auch mit ihrer "Erinnerungsarbeit" bei der Rekonstruktion des wichtigsten Wahrzeichens der Stadt geholfen. 

Mulaomerović und seine Kollegen haben in sämtlichen Archiven von Wien bis Budapest geforscht, auch in Belgrad hat man nachgeforscht. Die Nationalbibliothek von Serbien hat übrigens, so wie auch jene von Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Norwegen einen Beitrag geleistet. "Aber am Anfang ging es nur darum, den weiteren Zerfall des Gebäudes zu verhindern", erzählt Mulaomerović von der Rekonstruktionsarbeit.

Der Architekt erinnert sich an Höhepunkte seiner Arbeit, als er etwa jene Keramikfirma Zsolnay in Ungarn ausfindig machte, die bereits vor 120 Jahren die weißblauen Kacheln an den Außenmauern herstellte. Zsolnay hatte sogar noch die handgemalten Vorlagen und steuerte auch jetzt die neuen Kacheln bei. 

Mulaomerović war es am wichtigsten, etwas "Authentisches" an seine Stadt zurückzugeben. Das helle, rot-gelb bemalte Gebäude im Osten der Stadt, dort wo der osmanische Bazar beginnt, war eigentlich als Demonstration der Macht der neuen Herrscher gedacht. Österreich-Ungarn hatte Bosnien-Herzegowina 1878 okkupiert. Die Architektur hatte aber weder etwas mit Österreich-Ungarn, noch mit Bosnien-Herzegowina zu tun, welches auch architektonisch vom Osmanischen Reich geprägt war. "Dieses Neomaurische war damals einfach schick", erklärt der Architekt Mulaomerović. Damals handelte es sich zudem um das wertvollste Gebäude, das in dieser Region erbaut wurde. 

Eigentlich war sogar daran gedacht worden, dass vor der Vijećnica ein großer Hauptplatz geschaffen wird, indem man den Fluss Miljacka einfach überdeckt wird. Auf der anderen Seite des Platzes sollte auch ein großes Verwaltungsgebäude der Monarchie entstehen. Soweit ist es bekanntlich nie gekommen. Und noch immer liegt die Vijećnica deshalb irgendwie im Niemandsland, an einer viel zu engen Straße, die sich um sie windet und an keinem Ort, wo man sie wirklich gebührend bewundern kann. Insofern ist die Vijećnica städtebaulich gedacht, unvollendet. 

Nun werden in dem "Rathaus" Teile der Stadtverwaltung, der Nationalbibliothek und ein Café untergebracht. Vor allem soll die Vijećnica aber als Aufführungsort für Konzerte und Veranstaltungen dienen. Insgesamt hat die Rekonstruktion etwa zehn Millionen Euro gekostet. Den größten Teil hat die EU bezahlt. Die Bürger von Sarajevo haben auf ihr Symbol der Vielfalt, der Verbindung zwischen den Zivilisationen, mit seinen Anleihen in Kairo und Ideen aus Prag und Wien, gewartet. Die Vielfalt der Stadt sei mit der Vijećnica verbunden, sagen manche in der Stadt. 

"Auch wenn ich gewusst habe, wie das am Ende ausschauen wird, habe ich auch während der Arbeiten nie aufgehört zu genießen, wie es wirklich aussieht", sagt Mulaomerović.

Bürgermeister Komšić betont, dass die Belagerung Sarajevos (1992-1995) ein Verbrechen gewesen sei und dass im Rahmen dieses Verbrechens (für das etwa Radovan Karadžić angeklagt ist) die Vijećnica angezündet worden sei. "Wir haben überlebt", sagt der Bürgermeister. "Und wir sind in der Lage zwischen Kriminellen und Unschuldigen zu unterscheiden." Er bedankt sich bei den Handwerkern und Designern, die die Vijećnica originalgetreu wieder aufgebaut haben. "Genießen Sie sie", sagt er. Diesmal gibt es nach diesen Worten ehrlichen Applaus. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 9.5.2014)