Rama hat Albanien vor einem Jahr eine Wiedergeburt versprochen. Einige Monate nach Antritt der neuen Regierung, scheint Tirana nicht gerade reinkarniert, aber ein bisschen etwas hat sich in der albanischen Metropole doch geändert.

Es fällt etwa auf, dass die Leute öfter Verkehrsregeln einhalten. Die Regierung Rama habe Polizisten ausgetauscht und die neuen Verkehrshüter würden mehr Disziplin einfordern, meinen manche Bürger. Auch einige illegal errichtete Gebäude in Vlora wurden abgerissen, dort soll jetzt am Strand eine Promenade entstehen. Prinzipiell kann der Sozialist Edi Rama aber nur „kleine Schritte“ machen, insbesondere im Justizbereich. Seine Möglichkeiten haben dort eine Grenze, wo dies andere massiv „stören“ könnte, etwa einflussreiche Geschäftsleute.

Rama hat in den vergangenen Monaten versucht, das Image Albaniens im Ausland zu verbessern. Der Besuch bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel Anfang April in Berlin verlief positiv. Merkel hat Rama sogar angeboten, im Fall, dass die Niederlande Probleme bei der Zustimmung zum Kandidatenstatus machen, ein gutes Wort bei Premier Mark Rutte einzulegen. Auch wenn der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sich immer schwerer dabei tut, die Partei auf Erweiterungskurs zu bringen, so dürfte es diesmal klappen und die EU-Mitgliedstaaten im Juni dafür stimmen, dass Albanien den Kandidatenstatus bekommt. Damit würden nur Bosnien-Herzegowina und der Kosovo, also jene beiden Staaten, die am meisten durch die Kriege gelitten haben, ohne Kandidaten-Status bleiben.

Bisher war die EU gegenüber Albanien vor allem wegen der fehlenden Standards bei Wahlen zögerlich. Auch die fehlende Effizienz des Staates und der Verwaltung des kleinen Balkan-Staates, der das repressivste kommunistische Regime in Europa hatte, galten als Hindernis. Albanien liegt beim Korruptionsindex in der Region nach wie vor an letzter Stelle. Berüchtigt für die Korruption ist etwa der Bildungsbereich. Der Sohn des italienischen Politikers Umberto Bossi, Renzo Bossi hat etwa 2010 innerhalb eines Jahres einen Abschluss an der privaten Kristal Universität in Tirana bekommen.

Der Machtwechsel – der Demokrat Sali Berisha, der für seinen autoritären Stil bekannt war, wurde im Vorjahr abgewählt - hat zu einer gewissen Durchlüftung geführt. Und es gibt Reformansätze. Die Behörde Hidaa, die dafür zuständig ist, dass Politiker und hohe Beamte ihre Einkommen bekannt geben müssen, hat nun urgiert, dass alle die das müssen, auch wirklich bekannt geben, was so alles auf ihrem Konto landet. Zurzeit wird auch daran gearbeitet, zu erfassen, wer von den ehemaligen politischen Häftlingen Anspruch auf Kompensation hat. Dass diese Leute, die in den Gefängnissen unter Enver Hoxha eingesperrt waren und entsetzlich behandelt wurden, noch immer nicht entschädigt wurden, gilt als große Schande in Albanien.

Ansonsten geht das übliche Polit-Hick-Hack zwischen den Sozialisten und den Demokraten weiter. Die Opposition wirft der Regierung vor, dass auf dem Militärflughafen Drogen geschmuggelt werden. Noch in der Opposition beschuldigten die Sozialisten das Verteidigungsministerium der Korruption. Die Vorwürfe gleichen sich also aus. „Zwei Halbwahrheiten machen eine doppelte Lüge“, meint der Intellektuelle Fatos Lubonja, der seit Jahren an seinem Land verzweifelt. Für ihn sind die albanischen Politiker von welcher Partei auch immer „Gangster, die versuchen das Territorium zu kontrollieren“. Er hat auch wenig Hoffnung, dass sich das mit der neuen Regierung ändert. „Wieso soll jemand in eine wirklich unabhängige Justiz investieren?“, fragt er. „Das ist ja so, wie wenn man den Ast absägt, auf dem man selbst sitzt.“

Während manche Medien so tun, als wäre noch immer die alte Regierung an der Macht, übt die Demokratische Partei (DP) trotz Wahlniederlage noch keine Selbstkritik. Der Polithaudegen Sali Berisha hat noch immer seine Partei unter Kontrolle und nimmt mit seinen Ausführungen anderen Parlamentariern die Redezeit weg. Er hat sich seit Jahren völlig auf Rama fixiert. Mittlerweile kämpft Rama aber nicht mehr gegen Berisha, sein Koalitionspartner Ilir Meta von der LSI, ist da schon eher eine Herausforderung.

Meta, der als Königsmacher fungiert, gilt nicht nur als korrupt (bisher wurden alle Vorwürfe von der Justiz ad acta gelegt), er verfügt auch über eine Sperrminorität im Parlament und seine LSI greift offensiv nach Macht (und Jobs). In Tirana gibt es das Gerücht, dass Metas Frau, Monika Kryemadhi, die als äußerst ehrgeizig und machtbewusst gilt, nächstes Jahr bei den Lokalwahlen als Kandidatin der Regierung das Bürgermeisteramt in Tirana anstreben wird.

Es sind auch Meta’s Wirtschaftsfreunde, die von der Expansion der Textilfabrikation im Süden profitieren dürften. Tatsächlich ist die Abhängigkeit der Politiker in Albanien von Wirtschaftszirkeln groß, die Erpressbarkeit ab einem gewissen Stadium der politischen Karriere auch. Lubonja glaubt, dass Brüssel Albanien den Kandidaten-Status ohnehin nur aus „geopolitischen Gründen“ geben wird, weil Verhandlungen mit Serbien beginnen. „Die wollen in Brüssel die Idee von Europa aufrecht erhalten und zeigen, dass ihre eigene Bürokratie etwas Gutes tut“, sagt er.

Lubonja hat einen markanten Vergleich auf Lager, wenn es um den seiner Meinung nach falschen Fokus der EU geht. In jüngster Zeit habe man das Bankkonto eines Hodschas in Tirana gesperrt. Dieser soll Albaner, die in den Djihad nach Syrien gezogen sind, unterstützt haben. Gleichzeitig gäbe es aber dutzende Drogenschmuggler in dem Land, so Lubonja, deren zahlreiche Bankkonten niemals gesperrt würden. „Und so ist das mit der Bürokratie des Westens. Die haben nicht versucht die unabhängigen Institutionen zu unterstützen, sondern sie arbeiten mit den beiden großen Parteien zusammen“, kritisiert Lubonja.

Wirtschaftlich geht es ganz sacht bergauf. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) erwartet für heuer ein Wachstum von 1,7 Prozent, was vor allem auf den Energiesektor zurückzuführen ist. Als wichtigste wirtschaftliche Investition gilt die transadriatische Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan über Griechenland und Albanien nach Italien und damit nach Westeuropa bringen soll. Die Regierung Rama hat derzeit damit zu tun, die Schulden der Vorgängerregierung, die diese bei der Privatwirtschaft gemacht hat, zurückzuzahlen. Der IWF hat für 36 Monate ein Abkommen mit der Regierung über 300 Millionen Euro gemacht. Die Verschuldung lag 2013 bei 67 Prozent des BIPs. Im kommenden Jahr soll es laut WIIW ein mageres Wachstum von 1,5 Prozentpunkten geben. (DER STANDARD, Langfassung, 12.5.2014)