Ankunft von 40 neuen Gastarbeitern für die Wiener Verkehrsbetriebe auf dem Südbahnhof in den 1960er-Jahren.

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Arbeitgeber, die miteinander um ausländische Arbeitskräfte ritterten. Die fürchteten, die türkischen und exjugoslawischen Arbeiter könnten, wegen des hierzulande um ein Viertel niedrigeren Lohnniveaus, statt nach Österreich lieber nach Deutschland oder in die Schweiz gehen: Im Vergleich zu den heutigen Zuständen habe die Frühzeit der österreichischen Gastarbeiteranwerbung einiges von einer verkehrten Welt, meint die Historikerin Vida Bakondy.

"Anfang der 1960er-Jahre boomte die Wirtschaft. Es wurde händeringend nach Arbeitern gesucht. Das schlug sich in der Berichterstattung über die ersten Gastarbeiter nieder", weiß Bakondy. Zum 50-Jahr-Jubiläum des Anwerbeabkommens mit der Türkei wollten sie und die Obfrau des Zentrums für Migrantinnen, Gamze Ongan, die Öffentlichkeit mit derlei Schlagzeilen konfrontieren: Ab Donnerstag werden in Wien und anderen österreichischen Städten rot-weiße Plakate mit Zitaten aus Zeitungen von früher affichiert - zu sehen in dieser Ansichtssache.

Dies sei auch als "eine Art Dankeschön" an die Gastarbeiter gemeint, sagt Bakondy. Ein Dankeschön, das sie und andere von offizieller österreichischer Seite her vermissen: Zwar plane etwa das Außenministerium zum 50-Jahr-Termin mehrere Veranstaltungen, aber ein offizieller Staatsakt, wie er in Deutschland anlässlich von 50 Jahren Gastarbeiter vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder zelebriert wurde, sei nicht geplant, kritisiert die grüne Abgeordnete Alev Korun.

Anwerbebüro in Istanbul

Der Termin des Plakatierstarts ist nicht zufällig gewählt: Am 15. Mai 1964, also vor genau 50 Jahren, eröffnete in Istanbul das dortige österreichische Gastarbeiter-Anwerbebüro. Damit startete eine Arbeitskräftesuche, die sich zu einer Geschichte türkischer Einwanderung nach Österreich entwickeln sollte, obwohl dies damals ausgeschlossen wurde. Laut dem Migrationsexperten August Gächter leben heute rund 160.000 ehemalige türkische Gastarbeiter und ihre Nachfahren im Land.

Dasselbe Phänomen wiederholte sich mit jenen Menschen, die zwei Jahre später, 1966, nach Abschluss des Anwerbeübereinkommens mit dem damaligen Jugoslawien, dem Ruf nach Österreich folgten: Statt nur "Gast" zu sein, wie es eigentlich geplant war, blieben viele, sodass laut Gächter heute rund 370.000 Exjugoslawen, deren Kinder und Kindeskinder Teil der österreichischen Gesellschaft sind.

Dies habe die Gesellschaft demografisch und kulturell verändert, so, wie es davor bereits andere Einwandererströme getan hätten, meint der Experte: In dieser Hinsicht stünden die türkischen und exjugoslawischen Migranten in der Tradition etwa auch der tschechischen Einwanderer.

Deren Ankunft im deutschsprachigen Österreich, noch in der Kaiserzeit und danach, in der ersten Republik, sei zu Beginn der 1960er-Jahre, als die ersten Gastarbeiter kamen, noch stark in Erinnerung gewesen. Samt der damit eingehenden Probleme und Polemiken, etwa - so Gächter -, "weil die Tschechen Tschechisch und nicht Deutsch sprachen".

Berichte darüber aus der Zwischenkriegszeit seien "fast wörtlich auf die Klagen über mangelnde Sprachkenntnisse von Gastarbeitern und ihren Kindern übertragbar", sagt Gächter: Es gab dieselben Konflikte bei beiden Einwanderungswellen - dass mit der Ankunft der Gastarbeiter und deren teilweisen Verbleib eine Zeit globalisierter Einwanderungsbestrebungen nach Europa, und somit auch nach Österreich, beginnen würde, habe Anfang der 1960er-Jahre niemand wissen können.

In der in den Wirtschaftsboom driftenden Nachkriegszeit waren die Menschen aus der Türkei und aus Exjugoslawien indes die Ersten, die andere Sitten und Gebräuche, andere Traditionen - und andere Küchen - nach Österreich brachten: ein Beitrag zur Vielfalt. Und sie waren mitbestimmend dafür, dass in Österreich bis zur Ölkrise im Jahr 1973 starkes Wirtschaftswachstum herrschte.

Wirtschaftlich unverzichtbar

"Ohne Gastarbeiter hätte es den Boom in den 1960er- und 1970er-Jahren nicht gegeben", sagt Gächter. Die österreichische Wirtschaft hätte sich in nicht in dem Ausmaß entfalten können, wie sie es tat.

Damit hätten die Gastarbeiter aber auch für viele neue Jobs gesorgt, die den Hiesigen zugutegekommen seien: "Ohne Einwanderer wäre die Arbeitslosigkeit unter Österreichern damals viel höher gewesen". Wobei den Österreichern meist die "besseren" Büro- und Facharbeiterarbeitsplätze zukamen, während den Migranten überwiegend nur Hilfstätigkeiten offenstanden.

Mit den jeweiligen Bildungsniveaus habe das wenig zu tun gehabt, meint Gächter unter Berufung auf Mikrozensus und Volkszählungen. Tatsächlich sei Österreich in Europa jenes Land, "in dem es am leichtesten ist, mit geringer Bildung gute Jobs zu erringen" - wobei dies mit massiven sozialen Abstiegsängsten bei den Hiesigen einhergehe. Ein Symptom dafür: "Die immer wiederkehrenden Verdrängungsdebatten bei Gewerkschaft und AMS, wenn es ums Thema Migranten geht." (Irene Brickner, DER STANDARD, 15.5.2014)