Tauchgang zu einem anthropologischen Schatz: In dieser 60-Meter-Kaverne eines mexikanischen Höhlensystems wurde das vollständig erhaltene Skelett einer Paläoamerikanerin entdeckt. Sie lebte am Ende der letzten Eiszeit und ermöglicht Wissenschaftern, den Ursprung der frühesten Bewohner Amerikas zu bestimmen.

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Foto: Paul Nicklen / National Geographic

Mexiko-Stadt - Als eine Tauchexpedition 2007 das Höhlensystem von Hoyo Negro auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán erkundete, stieß sie auf die Knochen einer Reihe großer Eiszeittiere. Darunter befand sich auch ein vollständig erhaltenes menschliches Skelett - und das dürfte nun ein altes Rätsel um die Erstbesiedler Amerikas lösen.

Genetische Analysen haben gezeigt, dass die Ahnen der heutigen amerikanischen Ureinwohner aus Nordasien kamen. Sie erreichten den neuen Kontinent über die einstige Landverbindung zwischen Sibirien und Alaska: das weit ausgedehnte Land Beringia, das heute unter dem Meer liegt und das laut einer im März in "Science" präsentierten These an die 10.000 Jahre lang als neue Heimat diente (wir berichteten). Erst nach diesem "Zwischenaufenthalt" zogen die Menschen vor etwa 15.000 Jahren ins eigentliche Amerika weiter.

Frage des Aussehens

Ein Faktor trübt allerdings dieses ansonsten klare Bild: Man hat bisher nur eine Handvoll Skelette von "Paläoamerikanern" gefunden, also von Menschen, die vor mehr als 9000 Jahren in Amerika lebten. Seltsamerweise sahen diese aber nicht so aus wie die Angehörigen heutiger indigener Völker.

Schädelform und Details des Gebisses von Paläoamerikanern lassen "typisch indianische" Merkmale vermissen. Das führte zu Vermutungen über weitere frühe Besiedlungswellen - aus Südostasien oder gar aus Europa.

Hier aber kommt der Fund von Hoyo Negro ins Spiel, der von Forschern aus 13 verschiedenen Institutionen untersucht und nun unter Federführung des US-Anthropologen James Chatters in "Science" präsentiert wurde.

Das Skelett stammt von einem 15- bis 16-jährigen Mädchen, das den inoffiziellen Namen Naia erhielt. Eine Altersbestimmung ergab, dass Naia vor etwa 12.000 bis 13.000 Jahren durch eine Doline in die damals noch nicht überflutete Karsthöhle stürzte und dabei zu Tode kam.

Eindeutige Verwandtschaft

Naia hat ebenfalls diese "nichtindianische" Schädelform. Eine Analyse ihrer mitochondrialen DNA, gewonnen aus einem Backenzahn, zeigte aber, dass Naia keiner mysteriösen zweiten Einwandererwelle entstammt. Sie gehört derselben Abstammungslinie an wie Beringianer und heutige Indigene. Die morphologischen Unterschiede erklären die Forscher mit evolutionären Veränderungen in den Jahrtausenden seit der Erstbesiedlung Amerikas.

Der Fund von Hoyo Negro gibt jenen Theorien Auftrieb, denen zufolge der amerikanische Doppelkontinent bis zum Eintreffen der Europäer in der Neuzeit tatsächlich nur von den Nachkommen einer einzigen homogenen Siedlergruppe bevölkert war. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 16.5.2014)