Mitten in Imst liegt der Eingang zu einer der ältesten begehbaren Schluchten in Tirol. Gleich hinter der Johanneskirche zweigt der beschilderte Weg zur Rosengartenschlucht ab, die 1879 erschlossen wurde.
Wer genau schaut, dem fällt hier eine geologisch außergewöhnliche Formation auf - das sogenannte Imster Bergl, eine verfestigte Schichtung von Flussschotter, im Aufschluss 40 Meter hoch, andernorts bis zu 200 Meter mächtig. Kerstin Blassnig, Biologin und Schutzgebietsbetreuerin des Landes Tirol, erzählt darüber: "Das Bergl-Konglomerat gewährt interessante Einblicke in die glaziale Landschaftsgeschichte des Gurgltals. Die Schotter wurden vor rund 26.000 Jahren nahe dem Gletscherrand abgelagert. Die enthaltenen grünen Gesteine stammen aus dem Engadin und belegen, dass der Inn während der letzten Eiszeit durch das Gurgltal geflossen sein muss."
Am Eingang der Schlucht fallen Häuser auf, die an das Bergl angebaut, ja sogar in das Konglomerat hineingetrieben wurden. Nicht weit davon überqueren wir den aus der Klamm kommenden Schinderbach. Eineinhalb Kilometer gräbt er sich von Hoch-Imst herunter bis in die Stadt Imst.
Auch die Schlucht ist wie ein Fenster in die Erdgeschichte: Sie durchschneidet Riffkalk, der in der Trias - vor mehr als 230 Millionen Jahren - abgelagert wurde. Der Weg führt nun nicht nur in Zeitraffer durch Jahrtausende der Erdgeschichte, sondern auch durch einen höchst interessanten Lebensraumtyp.
Bemerkenswertes Mikroklima
Das konstant feuchtkühle Klima in der Schlucht fördert das Wachstum von Farnen und hochspeziell angepasster Moos-Algen-Gesellschaften. In den kleinsten Ritzen wurzeln genügsame Pflanzen wie das auffällige Kalkfelsenfingerkraut oder die Zwergglockenblume. "Bemerkenswert an diesem Mikroklima", sagt Blassnig, "ist das Aufeinandertreffen von Pflanzengesellschaften ganz unterschiedlicher Höhenstufen und Lebensräume. Hier begegnen sich südosteuropäische und submediterrane Arten."
Langsam folgen wir dem tosenden Wasser durch steinerne Tunnel und über gewagt im Fels befestigte Stege und Brücken. Lautstark stürzt sich der Bach in sprühenden Kaskaden in die Tiefe und schlängelt sich dann wieder ganz ruhig durch Engstellen der über 100 Meter hohen Felswände. Verlässt man die Schlucht, führt ein Weg durch lichten Föhrenwald bis zur Blauen Grotte.
Mit eingezogenem Kopf schlüpfen wir in diese kleine von Menschenhand geschaffene Höhle. Ihren Namen hat sie von der intensiven Blaufärbung eines kleinen Sees, der sich an ihrem Rande gebildet hat. Das Besondere an der Grotte ist die Geschichte ihrer Entstehung: Bereits während der Römerzeit wurde hier gearbeitet und nach silberhaltigem Bleiglanz gesucht. Abgebaut wurde das weitverbreitete Mineral vermutlich schon früh mittels Feuersetzmethode, also durch die Erhitzung des Gesteins, das dadurch spröde und leichter abzuschlagen war.
Achterbahn oder Naturerlebnis
Nach gut eineinviertel Stunden und 200 Höhenmetern erreichen wir das obere Ende der Rosengartenschlucht, wo man die Wahl hat, entweder mit einer Sommerrodelbahn, einer Art Achterbahn oder mit Quads weiterzukommen. Wer hingegen das Naturerlebnis präferiert, wandert über das Wetterkreuz und das Bergl auf dem ausgeschilderten Wanderweg zurück ins Tal. Die Aussicht über das als traditionelle Kulturlandschaft noch weitgehend erhaltene Gurgl-tal ist auf diesem Abschnitt jedenfalls sehr lohnend.
Obwohl auch die Rosengartenschlucht noch sehr urtümlich erscheint, befürchtet die Biologin Blassnig, dass das vielleicht nicht immer so bleiben wird: "Es handelt sich um einen sehr sensiblen Lebensraum. Man muss ihn in seiner Gesamtheit wahrnehmen und beurteilen, was er verträgt und was nicht. Eine Eiskletterwand oder Canyoning-Angebote haben hier eigentlich nichts verloren. Ziel sollte vielmehr die Erhaltung der Eigenarten dieser Schlucht sein und die Wertschätzung eines seltenen Naturerlebnisraumes." (Thomas Rabauske, DER STANDARD, Album 17.05.2014)