Die Nelkenrevolution in Portugal (1974-1976) ist wahrscheinlich die letzte Revolution, die einem klassischen Muster folgte, d. h., sozial klar identifizierbare Träger hatte. Im Falle Portugals waren es Soldaten und junge Offiziere sowie die Industrie- und die Landarbeiter. Die nach 1989 erfolgten Revolten waren dagegen mehr Volksaufstände mit nur diffus erkennbaren Trägern. Weitere Besonderheiten der portugiesischen Revolution waren die zeitweise führende Rolle des Partido Comunista Português (PCP) und der starke Einfluss von ultralinken Gruppen auf das Militär.

Urte Sperling stellt in ihrem schmalen Buch die Voraussetzungen, den Verlauf und die Ergebnisse der Nelkenrevolution präzis und überzeugend dar. Die Revolution war für alle Welt eine Überraschung: Der politische Aufbruch von 1968 hatte sich in ganz Europa in maoistischen und leninistischen Klüngeln verfangen, die sich revolutionär kostümierten. Die USA hatten mit der Beendigung des Vietnamkriegs zu tun, und die Entspannungspolitik in Europa arbeitete am Helsinki-Prozess. Die Revolution am Südrand Europas kam für alle ungelegen.

Ganz unverhofft trat sie jedoch nicht ein. In den Kolonien Portugals brodelte es. Unabhängigkeitsbewegungen kämpften in Angola und Mozambik. Seit dem Militärputsch 1926 herrschte in Portugal eine quasifaschistische Diktatur bzw. ein "korporatistischer Polizeistaat" mit Staatspartei, Zensur und mächtiger Geheimpolizei unter António Oliveira de Salazar, in der oppositionelle Parteien und Gewerkschaften verboten waren.

Der weltweite Druck

Die Kolonialherrschaft konnte nur aufrechterhalten werden mit starker militärischer Präsenz, was eine vierjährige, höchst unbeliebte Militärdienstzeit für Männer erforderte. Junge Portugiesen desertierten häufig und flohen massenhaft ins Ausland - zwischen 1950 und 1969 rund zwei Millionen Menschen, das heißt 25 Prozent der erwachsenen Männer. Das Land mit einem Drittel Analphabeten verarmte. Als Opposition konnte sich innerhalb des Landes einzig die illegale KP halten.

Die Krise der Diktatur, das heißt, der Staatsbankrott - das Land steckte 50 Prozent des Staatshaushalts in Kolonialkriege - fiel zusammen mit der Krise des Kolonialismus und antikolonialistischen Bewegungen in Mosambik, Angola und Guinea-Bissau zu Beginn der 60er-Jahre. In Guinea-Bissau etwa sollte ein Staudamm errichtet werden, der international auf Protest stieß und die Kolonialmacht in einen blutigen Guerillakrieg mit dem Partido Africano da Indepência de Guinea-Bissau (PAIGC) verwickelte. General António Spínola entwarf einen Plan zur Rettung der Kolonien als "Überseeprovinzen". Aber der weltweite Druck von antikolonialistischen Bewegungen blieb stark, und in der Armee sammelte sich die Opposition im Movimento de Forças Armadas (MFA), mit Oberst Vasco Gonsalves, Major Otelo Saraiva de Carvalho und Hauptmann Melo Antunes an der Spitze, die die Diktatur durch einen Militärputsch beenden wollten.

Vorübergehend ging der MFA ein Bündnis mit General Spínola ein. Aber die Rebellion der jungen Offiziere des MFA am 25. April 1974 entwickelte sich schnell zu einem Aufstand der Arbeiter. Er erhielt bald den Namen Nelkenrevolution, weil sich Arbeiter und andere Zivilisten mit den Soldaten solidarisierten und Nelken in deren Gewehrläufe steckten. Der Staatsrat aus je sieben Generälen, Zivilisten und MFA-Mitgliedern radikalisierte sich rasch und setzte sich von General Spínola ab, als dieser die Nähe zu Nato und USA suchte.

Der Gang der Revolution

Urte Sperling schilderte den Gang der Revolution, die aus dem Armenhaus Europas in kurzer Zeit ein sozialrevolutionäres Laboratorium machte, in dem viele politische Gruppen experimentierten und Reformen durchsetzten. Die KP unter Álvaro Cunhal erreichte zusammen mit der Bewegung der Landarbeiter eine Änderung der Eigentumsverhältnisse im Süden des Landes, wo Großgrundbesitzer herrschten. Schließlich führte die Radikalisierung des MFA zu dessen Spaltung und ebnete den politischen Parteien von den Sozialisten bis zu den Konservativen den Weg in eine parlamentarische Demokratie.

Die knappe Darstellung Urte Sperlings zeigt die von Krisen geprägte Entwicklung der Revolution kompetent und legt deren Probleme offen. Störend wirkt eine deutschtümelnde Marotte der Autorin. Es gibt gute Gründe, warum sich die deutschen Kommunisten nach dem Verbot der KPD 1956 bei der Neugründung 1969 DKP nannten. Aber es gibt keinen einzigen Grund, den alten Partido Comunista Português von 1921 in "PKP" umzubenennen. (DER STANDARD, 17.5.2014)