Alpbach - In der politischen Diskussion um Einsparungspotenziale im Gesundheitssystem, etwa durch Senkung der Arzneikosten, wird zwar die demografische Entwicklung der Bevölkerung berücksichtigt. Kaum aber die Auswirkungen einer zunehmend älter, damit alterskrank werdenden Gesellschaft auf die pharmazeutische Forschung.

Medikamente werden teurer

Das derzeitige Studiendesign für die Zulassung neuer Medikamente werde sich grundlegend verändern. Die Folge: "Medikamente werden noch teurer", kündigte Hubert Dressler, Mediziner und Vorstandsmitglied der Pharmig (Vereinigung Pharmazeutischer Unternehmen), nach den Alpbacher Gesundheitsgesprächen über das "Active Aging" Dienstag im Gespräch mit dem Standard an.

Montag hatte die Innsbrucker Alterforscherin Beatrix Grubeck-Loebenstein die Pharmabranche aufgefordert, ihre Wirkstoffe besser an die alternde Bevölkerung anzupassen. Mit zunehmendem Alter gerät das Immunsystem derart aus dem Lot, dass seine Antikörper selbst Krankheiten wie Alzheimer, Arteriosklerose und Osteoporose fördern, das Infektionsrisiko erhöhen und den Impfschutz abbauen.

So hält etwa der Impfschutz gegen FSME (Zecken, empfohlene Auffrischung alle drei Jahre) bei Jugendlichen mindestens sechs Jahre, bei Menschen über 65 hingegen sollte jedes Jahr aufgefrischt werden. Auch auf die Influenzaimpfung sprechen ältere Menschen nur schlecht an - was in der hohen Zahl der jährlichen Grippetoten resultiert.

Forschung konzentriert sich auf ältere Patienten

"Pharmaunternehmen sind dabei, Forschung und Entwicklung spezifisch auf ältere und alte Patienten auszurichten", versicherte Dressler. Organisatorische und finanzielle Probleme seien jedoch enorm.

Für klinische Studien der Phase drei, der letzten vor Zulassung eines Medikamentes, wird im Schnitt ein Sample von 15.000 Patienten benötigt. Sehr viele dieser Studien seien bisher an Angehörigen von Berufsarmeen etwa in den USA und Israel durchgeführt worden. Aus zwei Gründen: relativ homogene Gruppe, geringer organisatorischer, damit finanzieller Aufwand.

"Künftig wird das nicht mehr funktionieren, weil ich in Berufsarmeen zu wenige Personen über 65 finde", sagte Dressler. Studienzentren müssten daher eine entsprechend große Versuchsgruppe mit hohem Aufwand aus der Bevölkerung rekrutieren.

Viele Patienten der Testgruppe sterben

Das größte Problem altersangepasster Studien sei aber das Alter selbst. "20 bis 30 Prozent einer Testgruppe von Patienten über 65 Jahren sterben während der Studienphase." Nicht unbedingt an Nebenwirkungen der Arznei, sondern eines altersbedingten Todes, argumentierte der Mediziner. Konsequenz: Bisherige Größen der Samples reichten nicht mehr aus, es müssten viel mehr Menschen in Studien einbezogen werden. Und der für eine Zulassung erforderliche Nachweis, dass die Todesfälle durch das Alter, nicht durch die Therapie bedingt sind, sei ebenfalls enorm aufwändig und kostspielig.

Hinzu komme laut Dressler ein ethisches Problem, beispielsweise für den Test eines Alzheimermittels, das an einer spezifisch alten Studienpopulation durchgeführt werden soll: "Wer soll für Alzheimerpatienten, die selbst nicht mehr dazu in der Lage sind, die Einwilligung zur Studie geben? Und dürften die, die während der Studie wegen Alzheimer ihr Urteilsvermögen verlieren, weiter in der Studie belassen werden?"

Erste altersspezifische Studien für neue Medikamente gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes zeigten laut Dressler jedenfalls, dass die bisherigen Entwicklungskosten - im Schnitt eine Milliarde Euro pro Medikament - nicht mehr haltbar seien. (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2003)