So viel Tiefstapelei war selten. Die Erwartungen an den Koreagipfel in Peking wollten die Unterhändler der sechs beteiligten Staaten gar nicht niedrig genug ansetzen. Nach dem ersten Verhandlungstag liegt der Verdacht nahe, dass diese Politik des Understatement auch weniger mit Realismus zu tun hat als mit dem Kalkül, die Verhandlungen scheitern zu lassen, Zeit zu gewinnen, die Verantwortung auf die Gegenseite abzuwälzen.

US-Staatssekretär James Kelly zum Beispiel ist von seiner Regierung mit einer unmöglichen Mission nach Peking geschickt worden: Nichts anbieten, aber auf das sofortige Ende des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms bestehen. Sehr viel Spielraum für Verhandlungen lässt das nicht. Der Rücktritt des US-Sondergesandten für Korea Jack Pritchard - er hatte sich immer für Gespräche mit Pjöngjang eingesetzt - unmittelbar vor Beginn der Pekinger Runde sagt auch mehr über den Richtungsstreit innerhalb der Regierung Bush aus als über die Finesse der amerikanischen Verhandlungsstrategie.

Mit Pjöngjang verhält es sich nicht besser. Nach wie vor lautet die Grundfrage: Wie lässt sich Nordkorea für sein Handeln verantwortlich machen; wie zu einer Unterschrift unter ein Abrüstungsabkommen bringen, das ebenso verpflichtend wie überprüfbar ist? Die anderen vier Staaten am Tisch in Peking hatte Pjöngjang schon im Vorfeld der Verhandlungen gewarnt, sich nicht mit den USA zu verschwören. Washington setzt genau darauf. An Kellys Verhandlungsakrobatik liegt es, ob eine solche Dynamik gegen Nordkorea zustande kommt. Sie muss bedrohlich genug sein, um das diktatorische Regime zum Einlenken zu bewegen, aber ausreichend konziliant, um Nordkorea nicht einen Vorwand zum Abbruch der Verhandlungen zu liefern. Doch die Erwartungen an die Atomgespräche in Peking können bekanntlich gar nicht zu niedrig eingeschätzt werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.8.2003)