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Josef Cap meint, die ÖVP wolle zurück zum "Familienbild des 19. Jahrhunderts in Tirol und Vorarlberg". Das ist, wie fast alles von diesem begnadeten Polemiker, ein wenig übertrieben, aber Indizien gibt es dafür schon einige: Entkleidet man die Äußerungen von Frau Minister Elisabeth Gehrer ihrer leicht jenseitigen Stichworte ("Kinder statt Partys", "Kinder statt Zweitwohnung in Lech und Ibiza"), so kommt schon eine klare Linie heraus: Mehr Kinder sollen durch Verzicht entstehen, nämlich durch Verzicht auf "höchstmögliches Einkommen" (Gehrer), was im Klartext heißt: Die Frau soll nicht arbeiten gehen.

Dementsprechend war ja auch das Kindergeld angelegt - als Lenkungsmaßnahme der Frau zum Herd und zur Wiege hin. Dementsprechend der Widerstand der ÖVP gegen Ganztagsschule und eine entsprechende Dotierung von Kinderbetreuungseinrichtungen.

Dass erstens das Kindergeld keinen Geburtenzuwachs bringen wird und zweitens unser Sozialsystem unter anderem nur dann halbwegs auf gleich gebracht werden kann, wenn unsere relativ niedrige Frauenerwerbsquote steigt, steht dazu in diametralem Widerspruch, aber das passt nicht in die herrschende Retro-Ideologie in der ÖVP.

Diese Retro-Ideologie drückt sich auch in anderen jenseitigen Vorschlägen, wie dem von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein aus, die Eltern mögen pro Kind eine Wahlstimme dazubekommen. Eine innovative Wiederbelebung des Kurienwahlrechts aus der Monarchie (bis 1907), wo es bestimmte Wählerklassen gab (z. B. Großgrundbesitz brauchte für ein Abgeordnetenmandat nur 59 Wähler, Stadtgemeinden jedoch 8400).

Harmonisch dazu fügt sich die lange Weigerung der ÖVP, genauer von Kanzler Schüssel, homosexuelle Beziehungen unter Männern unter 18 Jahren straffrei zu stellen.

Das Familien- und Gesellschaftsbild, das sich aus diesen Momentaufnahmen ergibt, ist zumindest seltsam und mit einer modernen wertkonservativen Haltung schlecht vereinbar. Selbstverständlich werden zu wenige Kinder geboren, aber das hat mindestens so viel mit der auch von der ÖVP-Regierung forcierten "Reformpolitik" zu tun wie mit dem angeblichen oder tatsächlichen Hedonismus der Jungen. Wer heute im Berufsleben gewärtig sein muss, seinen Arbeitsplatz als "flexibel" (= unsicher) zu betrachten, und wer aufgefordert wird, gefälligst ständig umzulernen, um wettbewerbsfähig zu sein, der denkt vielleicht zuerst an Sicherheit und nicht an Kinder.

Die ÖVP, oder genauer: die tonangebende Führungsschicht Schüssel/ Khol/Bartenstein/Grasser, hat sich da eine seltsame Mischung aus katholischer Pater familias-Nostalgie und "modernem" Yuppie-Neoliberalismus, garniert mit einem guten Schuss Nationalismus, zusammengemixt. Dagegen gibt es jetzt allmählich mehr oder minder lauten Widerstand in der Partei.

Elisabeth Gehrer, die ja keine harte Ideologin ist, wirkt da als eher unbewusster Auslöser. Es gibt tapfere Versuche einer "Initiative Christdemokratie", "die ÖVP wieder christdemokratisch zu machen" (im Gegensatz zu nationalkonservativ). Ein Essay-Sammelband unter dem Titel "Stromaufwärts" (id est: gegen den aktuellen Strom und zu den Quellen), herausgegeben von Thomas Köhler und Christian Mertens aus dem Umfeld der Wiener ÖVP und dem NR-Abgeordneten Michael Spindelegger (Böhlau-Verlag), widmet sich diesem Ziel. hans.rauscher@derStandard.at (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.8.2003)