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Ein Morphin-Molekül

Bild: Archiv
Wien/Heidelberg - Experten brechen eine Lanze für den Einsatz von Opiaten (auch: Opioide, Anm.) bei Schmerzpatienten ohne bösartige Erkrankungen. "Es gibt immer noch die Auffassung, dass Opioide dem Komfort der Patienten dienen, ihnen aber schaden. Dabei gehören sie zu den nebenwirkungsärmsten Arzneimitteln, welche die Medizin kennt", erklärte am Freitag Univ.-Prof. Dr. Jürgen Sandkühler vom Institut für Hirnforschung der Universität Wien. Kommende Woche (6. bis 8. September) findet in Wien ein internationales Symposium zu diesem Thema statt.

Die Veranstaltung mit dem Titel "Opioide für chronische nicht maligne (Krebs, Anm.) und neuropathische (Nerven, Anm.) Schmerzen" ist das einzige offizielle Satellitensymposium zu dem in der kommenden Woche in Prag ablaufenden europäischen Schmerzkongress. Diskutiert werden von rund 120 Experten die neuesten Erkenntnisse rund um die vom Morphin abstammenden Wirksubstanzen gegen schwere Schmerzzustände.

Neue Anwendungsformen

Sandkühler: "Man kommt immer mehr zu der Erkenntnis, dass starke chronische Schmerzen, auch wenn keine Krebserkrankung vorliegt, mit Opioiden behandelt werden können. Zum Teil besser als mit den sonstigen Schmerzmitteln. Das gilt für starke Knochen- und Arthroseschmerzen genau so wie heftige Schmerzen bei degenerativen Erkrankungen (Wirbelsäule etc.)."

Möglich machen das auch neue Anwendungsformen. Der Experte: "Die Opioid-Pflaster waren hier eine wesentlich Neuerung. Es gab aber auch mit den lang wirksamen retardierten Tabletten Fortschritte. Wichtig ist, dass man einen konstanten Opioid-Spiegel erreicht, um die Schmerzspitzen abzufangen." Die alten Ängste wegen möglicher Atemdepression oder gar Suchtgefahr sollten in diesem Einsatzgebiet endlich bereinigt werden. Neu: Jetzt gibt auch eine Art "Opiat-Lutscher". Die schnelle Aufnahme der Wirksubstanz durch die Mundschleimhaut eignet sich für die schnelle Beherrschung von Schmerzzuständen.

Wirksamkeit testbar

Sandkühler: "Neu ist auch, dass man die Wirksamkeit von Opioiden austesten kann. Wenn ein Patient zunächst nicht anspricht, kann ein 'Rotieren' zu einer ähnlichen Substanz dann die gewünschte Wirkung haben." Überlegt wird auch der Einsatz der Morphin-Abkömmlinge bei Neugeborenen, die unter schweren heftigen Schmerzen leiden. Laut dem Experten gibt es auf diesem Gebiet überhaupt wenige zugelassene Substanzen. Doch auch hier existierten noch Vorurteile.

Laut dem Wissenschafter ging man in Deutschland ehemals davon aus, dass etwa zehn Prozent der Bevölkerung an schweren Schmerzen leiden würden, die für eine Opioid-Behandlung in Frage kämen. Was eigentlich in jedem Fall eine möglichst prompte und wirksame Schmerztherapie veranlassen sollte so Sandkühler: "Beschwerden gehören behandelt, bevor sie sich als 'Schmerzgedächtnis' einbrennen und verselbstständigen."

Cannabinoide

Auch bei langfristiger Anwendung sind so genannte Cannabinoide zur Behandlung von chronischen Schmerzen oder Übelkeit nicht gefährlicher als Alkohol oder Nikotin. Die Medikamente mit dem Wirkstoff d-9-Tetrahydrocannabinol (THC), dessen Wirkung der von Haschisch oder Marihuana ähnelt, ziehen keine lebensbedrohlichen Komplikationen nach sich, wie die Fachzeitschrift "Der Schmerz" berichtet. Allerdings sollten die THC-haltigen Präparate nicht während der Schwangerschaft und bei Durchblutungsstörungen eingenommen werden.

Völlig nebenwirkungsfrei sind die Mittel nicht: Schon bei niedrigen Dosierungen ab fünf Milligramm THC ist dem Bericht zufolge die Fahrtüchtigkeit eingeschränkt. Häufig kommt es zu euphorischen Stimmungsänderungen, aber auch Depressionen und Panikanfälle seien möglich. Bei entsprechender Veranlagung könnten schizophrene Psychosen ausgelöst werden. Wiederholt seien außerdem Blutdruckabfälle und Herzrasen beobachtet worden. (APA/AP)