"Wenn man dir gibt, dann nimm - wenn man dir nimmt, dann schrei." Dieser alte Grundsatz erfreut sich nicht nur einer langen Tradition unter Interessenvertretern, Politikern oder Händlern.

Wenn wir ehrlich sind, dann werden wir wohl zugeben, dass jeder von uns laut aufschreit, wenn man an unsere Brieftasche geht, und dass niemand von uns allzu laut dagegen protestiert, wenn das eigene Einkommen etwas höher sein sollte als jene Summen, die der liebe Nachbar für ähnliche Arbeit oder vergleichbare Aufwände erhält.

Elisabeth Gehrer hat daher großen Mut bewiesen, wenn sie eine unpopuläre Debatte gestartet hat, die offensichtlich vielen Menschen ziemlich unbehagliche Gemütszustände bescherte, wenn wir die erste Welle der Reaktionen auf Gehrers Forderung "Kinder statt Strafsteuern für Pensionisten" Revue passieren lassen.

Unbehaglich haben sich wohl die meisten von uns deshalb gefühlt, weil schwer zu bestreiten ist, dass Elisabeth Gehrer auf jeden Fall im Kern Recht hat. Natürlich kann man debattieren, bis wohin ein Umlageverfahren unsere Pensionen sozialer absichert als ein Kapitaldeckungsverfahren, welches die aufgewendeten Gelder für unsere Wirtschaft sicher besser nutzbar macht.

Letztlich ändert sich aber nichts daran, dass die jeweils erwerbstätige Generation sowohl in einem Umlageverfahren für die Pensionen zahlen muss als auch in einem Kapitaldeckungsverfahren eine florierende Volkswirtschaft betreibt, damit alle veranlagten Pensionsfonds ordentliche Beträge abwerfen.

In irritierten Reaktionen auf Gehrer wurden viele Verteidigungsargumente aufgestellt, von denen einige unbestreitbar sind: So haben keineswegs alle heutigen Pensionisten für Kinder gesorgt, die heute durch ihre hohen Abgaben und Beiträge unseren Sozialstaat durchfüttern. Andere Eltern haben nicht allzu sehr in die Ausbildung der Kinder investiert, sodass diese selbst eher einem Leben als Dauerarbeitslose denn als Steuerzahler entgegensehen. Gar nicht so wenige hätten gerne Kinder gehabt, konnten ihren Wunsch aber nicht verwirklichen. Und natürlich spielt sich auch das heutige Singleleben nicht nur zwischen Partys in der City und in Ibiza ab.

Kostenwahrheit

All das ist uns in Österreich aber völlig egal, wenn es um die Eltern von real existierenden Kindern geht. Ganz gleich ob gewollt oder nicht, egal ob ein gutes Verhältnis zwischen Eltern und Kind besteht oder gar keines: Wir verlangen - gesetzlich verpflichtend - von jedem Elternteil in Österreich, dass im Durchschnitt etwa 20 Prozent des gesamten Monatseinkommens pro Kind aufgewendet werden - bis zum 27. Lebensjahr, falls das Kind dann noch studiert. Das heißt: Vätern und Müttern von Studierenden wird schon heute der Gegenwert einer Ferienwohnung auf Ibiza abgefordert - und niemanden regt das auf!

Wenn Sie jetzt einwenden, dass dann ab dem dritten Kind für ein Durchschnittseinkommen nur mehr Sozialhilfeniveau übrig bleibt, so haben Sie Recht. Tatsächlich gibt es einen freiwilligen Trend zur Mehrkinderfamilie statistisch nur bei sehr niedrigen oder bei sehr hohen Einkommen.

Des Rätsels Lösung liegt natürlich darin, dass für niedrige Einkommen die Transferleistungen für das Kind interessant werden können und dass bei hohen Einkommen nicht mehr die Prozente des Monatseinkommens ausschlaggebend sind, sondern eine Obergrenze (vom Zweieinhalbfachen des Regelbedarfes; Anm. d. A.).

Es gibt daher einen sehr simplen Schritt für einen ersten Ausgleich zwischen dem Aufwand für unsere Kinder und für die Pensionen:

Wenn ab nächstes Jahr individuelle Pensionskonten eingeführt werden, so ist es eine einfache Grundrechnung, wenn man den verpflichtenden Aufwand für Kinder anhand der Unterhaltssätze mitzählt. Neue Ungerechtigkeiten können dabei nicht entstehen, weil diese Summen als geltendes Recht schon jetzt exekutiert werden.

Der Lenkungseffekt verhindert zumindest, dass wir die befürchtete Produktion von Pflichtschulabbrechern zusätzlich begünstigen, die natürlich wenig zur Pensionssicherung beitragen können - und vielleicht schaffen wir mit etwas mehr an Kostenwahrheit einen Schritt in eine rationale Debatte über Lebenseinkommen. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2003)