Die Österreicher werden schon wissen, warum sie nur eines mehr fürchten als ihr Aussterben - die Zuwanderung. Wenn du selber das Produkt einer mehrtausendjährigen Zuwanderung bist, dann hast du die Abneigung gegen das Artfremde einfach in den Genen. Dann sagst du dir, lieber Tabula rasa als an einem Tisch mit Zugewanderten! Das darf man nicht für Borniertheit halten, es ist einfach Biologie, daher: Rebellion zwecklos.

Das mussten in den letzten Tagen Personen schmerzlich erkennen, die sich um einen Ausweg aus diesem Dilemma bemühten, indem sie das Rauschen von Party zu Party mutig als Ursache juveniler Zeugungsunlust anprangerten, beziehungsweise mit zizerlweiser Zuwanderung drohten, sollte die innere Einkehr bei Party-Abstinenz keine staatsbürgerlichen Früchte tragen.

Damit kamen sie beim Zuwanderungsminister nicht gut an. Wortmeldungen der letzten Tage - insbesondere jene, die Partys verbieten und zum Kinderkriegen aufrufen - kotzen mich an, verbreitete er in Niederösterreich, das Aussterben der bodenständigen Rasse gelassen in Kauf nehmend. Besonders entbehrlich ist, den Österreichern mit Zuwanderung zu drohen, wenn sie nicht bereit wären, Kinder zu kriegen.

Der also Angekotzte hat aber nicht mit dem Widerstand seiner Ministerkollegin gegen die Exekutivgewalt gerechnet. In der "Kronen Zeitung" vom Sonntag hielt sie nicht nur, leicht verärgert, an ihrer Kritik fest - Lech und Ibiza sind deshalb eh schon beleidigt -, sie verschärfte noch ihre Vorwürfe an die Jugend. Viele junge Paare haben einen Hang zur Perfektion. Und den leben sie bei Partys aus. So wird der Kinderwunsch immer mehr hinausgeschoben, und irgendwann ist es dann zu spät. Statt sich am Ehepaar Gehrer ein Beispiel zu nehmen - zu meiner Zeit hat man noch improvisiert -, haben viele junge Paare heutzutage geradezu unverschämte Vorstellungen von dem, was es braucht, Kinder in die Welt zu setzen. Die Ministerin findet in Österreich alles super, trist wird es für sie erst dann, wenn Kinder ihr Essen auf der Müllhalde suchen müssen. Wenn diese Definition von Tristesse die Jugend nicht zur Umkehr bewegt, sind wir zum Aussterben verurteilt.

Und weil sie schon dabei war, als provozierende Liesl durch die innenpolitische Szene zu rasen, brachte sie auch gleich den niederösterreichischen Landeshauptmann zum Kotzen. Es würde sie freuen, wenn einmal eine Frau Bundespräsident werden sollte, teilte sie Erwin Pröll mit, wie wenig es sie freuen würde, wenn er, der sich für den Job schon als bestgeeignet empfohlen hat, Bundespräsident werden sollte. Wen immer die ÖVP nun kandidiert, eines kann man Pröll nicht mehr nehmen: Er hat mit seiner Selbstempfehlung als väterliche Autorität jede andere Kandidatin zur zweiten Wahl abgewertet. Was diese gewiss zum Kotzen fände, würde solches auf dem diplomatischen Parkett nicht einen unschönen Eindruck hinterlassen.

Nicht nur Zeugungsverweigerung kann zum Aussterben ganzer Völker führen, auch andere Ursachen gibt es, wie Cato in der gestrigen "Krone" nachwies, angeregt von den derzeit in Wien weilenden Kardiologen. Die Drogensüchtigen und die Alkoholiker verkürzen sich einfach das Leben, tadelte er, ohne indes auf die Rolle einzugehen, die Partys dabei spielen. Auch jene, die zu viel oder zu fett essen, verlieren Jahre. Das weiß man, doch der große Kardiologen-Kongress, der gerade in Wien stattfindet, weist auf eine neu entdeckte Gefahr hin. Wer sich mit zu großer Leidenschaft Fußballübertragungen oder Autorennen im Fernsehen ansieht, strapaziert sein Herz so stark, dass er schweren Schaden erleiden kann.

Die günstige Gelegenheit, auf die im Gegensatz zum Fußball herz- und seelenstärkende Wirkung seiner Texte hinzuweisen, nützte der intime Romkenner nicht. Ihm war es wichtiger, seine Leser wieder einmal mit historischem Geheimwissen zu beeindrucken. Das war bestimmt schon im alten Rom so, als man dort Gladiatorenkämpfe, überhaupt - wie heute - "Brot und Spiele" alltagsbeherrschend machte; nur dass es damals noch keine Kardiologen-Kongresse gab, auf denen man Gefahren fürs Herz feststellte. "Brot und Spiele" wurden so eine der Ursachen des Unterganges.

Schade, dass es im alten Rom noch keine Kardiologen-Kongresse gab. Es wäre nicht untergegangen, wir würden heute noch gepflegtes Latein schreiben und Rotraud Perner würde in der "Presse" nicht behaupten: Der Begriff Generation stammt bekanntlich vom lateinischen generatio, Zeugungsfähigkeit. Aber ihr Beitrag zur Wertediskussion - Wo bleibt die Liebe? - hätte aus Frau Gehrers Munde die Jugend mitgerissen. Liebe. Das Wort geht mir ab in der ganzen Debatte. Sich als Frau einem Mann öffnen und ihn mit Leib und Seele an- und aufnehmen, bereit, ihn neu zu generieren - das erfordert die Methode "Aufmachen", also Mut zum nicht rationierten Gefühl und - Zeit.

Selbst der Innenminister wäre dahingeschmolzen.

(DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2003)