Vor drei oder vier Generationen waren Stahlwerke noch echte strategische Industrien. Mit Stahl wurden Eisenbahnen und Schiffe gebaut, die Länder reich machten, sowie Panzer und Gewehre, die sie mächtig machten.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist Stahl jedoch nur noch eine Grundstoffindustrie mit oft veralteten Produktionsstätten und weltweiter Überproduktion. Stahlregionen haben meist hohe Arbeitslosigkeit und wenig Zukunft. Selbst ein Vorzeigekonzern wie die Voestalpine ist bloß eine Midtech-Industrie mit wenig Wachstumspotenzial.

Starker Kandidat

Daher haben sich die meisten europäischen Staaten zuletzt aus dem Stahl zurückgezogen, Kapazitäten stillgelegt und Beteiligungen verkauft. Auch die Voestalpine ging erfolgreich durch einen solchen Prozess und ist heute daher ein starker Kandidat für eine Vollprivatisierung.

Doch Stahl bleibt politisch besonders heikel: Städte, Regionen und ganze Länder blicken mit nostalgischem Stolz auf ihre Werke und wehren sich gegen den notwendigen Jobabbau, Übernahmen und Fusionen. Das erklärt, warum Staatsbesitz, Steuergelder und Schutzzölle immer noch zur weltweiten Stahlindustrie gehören wie Stranggussanlagen und Hochöfen.

Konflikt zweier Weltbilder

Die schwarz-blaue Regierung kann sich zwischen diesen beiden Weltbildern nicht entscheiden. Sie will die Voest verkaufen und sich aus dem Stahlgeschäft zurückziehen - aber so, dass die Politik weiterhin die Kontrolle behält.

Diese Quadratur des Stahlkreises probieren die beiden Reformer Wolfgang Schüssel und Karl-Heinz Grasser nach traditionellem österreichischem Rezept: Sie verkaufen die Voest-Anteile an Banken und Unternehmen, die sich selbst wieder im quasiöffentlichen Eigentum befinden. Und als Zuckerl für die kommenden Landtagswahlen in Pühringers Reich sollen die bösen Wiener aus der ÖIAG als Kernaktionäre durch freundliche Oberösterreicher ersetzt werden, die wie der Raiffeisen-Banker Ludwig Scharinger praktischerweise auch noch tiefschwarz sind.

EU weiß, was sie will

Der schlaue Plan hat mehrere Haken: Erstens die FPÖ, die nicht weiß, was sie will, aber dies täglich "in aller Klarheit" sagt. Zweitens die EU, die weiß, was sie will, nämlich diese Art nationalistischer Wirtschaftspolitik in Europa unterbinden. Andere EU-Staaten werden deshalb derzeit gezwungen, ihre Goldenen Aktien aufzugeben, mit denen sie bisher Kontrolle über privatisierte Konzerne behielten. Schüssels und Molterers Gerede von Kernaktionären hat mit der Realität des EU-Binnenmarktes so viel zu tun wie Gehrers Predigten mit der heutigen Jugendszene.

Dieses Mal hat die FPÖ mit ihrer Kritik an der ÖVP-Privatisierungspolitik Recht: Sie ist ein krasser Fall der Irreführung. Wenn die neuen "Friends of Voest" wie echte Kernaktionäre agieren, dann verstoßen sie gegen EU- und Übernahmerecht. Tun sie es nicht, dann können sie weder die Einheit des Unternehmens noch den Verbleib der Zentrale in Linz garantieren, wie es Regierung und Nationalrat dezidiert fordern. Daran kann weder eine Wandelanleihe noch die hoch gepriesene Mitarbeiterbeteiligung nichts ändern, die von den Voest-Arbeitern erst bezahlt werden muss.

FPÖ, SPÖ, Grüne auf dem Irrweg

Doch die FPÖ läuft hier ebenso in die Irre wie SPÖ und Grüne: Die Voest braucht keine Kernaktionäre in Form eitler Politiker oder machtbewusster Banker. Sie kann sich, danke schön, am europäischen Kapitalmarkt selbst zurechtfinden und wird vor einem drohenden "Ausverkauf" am besten durch hohe Gewinne und einen funktionierenden Kapitalmarkt geschützt.

Wenn Schüssel & Co tatsächlich etwas für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich machen wollen, dann sollten sie ihre Voest-Aktien teuer an den Bestbieter verkaufen - und mag das auch Magna sein - und das Geld in jene Forschung und Bildung stecken, die in anderen EU-Ländern florierende Computer-, Telekom- und Biotechindustrien geschaffen hat. Der verbissene Streit um die Voest zeigt bloß, dass für Österreich Nostalgie immer noch mehr zählt als Zukunftspolitik. Eric Frey, DER STANDARD Print-Ausgabe, 4.9.2003)