Die Staatengemeinschaft ignoriere einen "Holocaust, der seit 1994 mindestens 100.000 Menschenleben" im Norden Ugandas gefordert habe
Redaktion
,
Der Erzbischof Odama aus der Diözese Gulu im
Norden Ugandas hat der internationalen Gemeinschaft
zynische Untätigkeit gegenüber
der dramatischen Situation in seiner Heimat
vorgeworfen, die einem Völkermord gleichkomme.
Er forderte die Entsendung einer
internationalen Friedenstruppe in die Region,
weil die christlich-fundamentalistische
Untergrundarmee „Lord Resistance Army“
(LRA) die Bevölkerung terrorisiere und zur
Flucht zwinge. Odama hielt der ugandischen
Regierung vor, die Sicherheit im Norden des
Landes nicht garantieren zu können. Seit Jahren
verspreche die Regierung unter Präsident
Yoweri Museveni, die Rebellen zu besiegen,
aber die Worte der Politiker hätten sich bisher
als folgenlos erwiesen.
Auch das Welternährungsprogramm der
UNO (WFP) ist bei der Verteilung von Lebensmitteln
im Norden Ugandas auf Armeeschutz
angewiesen. 140 Soldaten und drei schwer bewaffnete,
gepanzerte Fahrzeuge begleiten die
WFP-Konvois in die Flüchtlingslager, um der
ständig wachsenden Bedrohung durch die
LRA-Rebellen zu begegnen, so Kisa Wanbira,
Leiter des WFP-Büros in Kitgum.
Besonders betroffen sind die Distrikte Gulu,
in der Erzbischof Odama lebt, Kitgum und Pader.
Die Angst vor LRA-Überfällen zwinge die
Leute zur Flucht aus ihren Dörfern in zurzeit
insgesamt 52 Camps. Dort sind sie zu einer
Existenz als Binnenflüchtlinge gezwungen –
in Lagern, oft nur wenige Kilometer von ihren
Dörfern entfernt. Ihr Bewegungsraum ist aber
auf rund einen Kilometer umdas Camp eingegrenzt,
wobei auch hier bereits Gefahr droht.
Kannibalismus
Lira Palwo ist eines jener Lager in Pader. Es
wurde letzten Oktober gegründet, nach einer
besonders grausamen LRA-Attacke. Die Rebellen
überfielen eine Siedlung nur wenige
Hundert Meter außerhalb des heutigen
Camps, töteten drei Einwohner und kochten
sie. Anschließend versuchte man die Überlebenden
zum Kannibalismus zu zwingen.
Dann griff das Militär ein. Heute leben 16.750
registrierte Binnenflüchtlinge in Lira Palwo,
die inoffizielle Zahl liegt bei rund 19.000.
„Wir sind nicht freiwillig hier“, beschreibt
Oryema Charles Wamala die Lage. „Die Unsicherheit
zwingt uns dazu. Niemand beschützt
uns in unseren Dörfern.“ Mit sechs Familienmitgliedern
teilt er eine winzige, strohgedeckte
Lehmhütte. „Täglich sterben im Lager fünf
bis siebenMenschen, die Hälfte davon Kinder
unter fünf Jahren“, erklärt Akello Jacqueline
Orot die Situation in Lira Palwo. Sie ist Leiterin
der kleinen Gesundheitsstation. „Die Leute
verhungern oder sterben an Malaria. Hier gibt
es zu wenig Nahrung für alle.“ Das WFP kann
die Flüchtlinge nur beschränkt unterstützen.
37,5 Kilo Mais und 12,5 Kilo Bohnen werden
pro Monat und Haushalt – durchschnittlich verteilt.
Die ugandische Armee muss die Nahrungsmitteltransporte der UNO im Norden des Landes
scharf bewachen. Angriffe der Rebellen der „Lord Resistance Army“ drohen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.9.2003)
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