Cancún steht und fällt mit der Entwicklungspolitik: "Unredlich" nennt daher EU-Agrarkommissar Franz Fischler den Vorwurf, die Union unterstütze jede Kuh mit zwei Dollar pro Tag, während ein Fünftel der Weltbevölkerung nur von einem Dollar täglich leben muss. Gemeinsam mit seinem für Handel zuständigen Kollegen Pascal Lamy ging Fischler am Donnerstag in Brüssel in einer Pressekonferenz in die Offensive. Ab kommenden Mittwoch verhandeln die 146 WTO-Staaten im mexikanischen Cancún über 20 kontroverse Handelsthemen.

Im Mittelpunkt stehen Zollsenkungen für gewerbliche Waren und der Abbau von handelsverzerrenden Agrarsubventionen. Aber auch der Umweltschutz und eben die Förderung der Entwicklungsländer werden diskutiert. Die WTO-Mitglieder wollen zu einer erfolgreichen Zwischenbilanz der vor 18 Monaten in Doha gestarteten WTO-Runde kommen, die Ende 2004 schließen soll. EU-Kommissar Lamy warnt: "Ein schlechtes Ergebnis in Cancún wäre eine schlechte Nachricht für die Weltwirtschaft."

Die Hauptkonkurrenten EU und USA hatten sich im August auf einen gemeinsamen Vorschlag geeinigt. Doch Fischler ließ erkennen, dass die EU-Kommission, die die Verhandlungen für die EU-15 führt, sich einem Dreieckskonflikt zwischen Industrie-, Schwellen- und Drittweltländern gegenübersieht.

Zum einen stellte Fischler dabei die EU als Verbündeten der Dritten Welt dar: Die Union erlaube den 49 ärmsten Ländern zoll- und beschränkungsfreie Einfuhren - außer freilich bei Zucker und Reis. Zudem sei die EU weltgrößter Importeur von Agrarprodukten aus Entwicklungsländern und führe aus diesen mehr ein als die USA, Kanada, Australien und Japan zusammen.

Auf der anderen Seite griff der Agrarkommissar die Schwellenländer Brasilien, Indien und China scharf an: Ihr gemeinsamer Vorschlag sei "wirklich extrem", sie bewegten sich auf einer "Odyssee im Weltraum", da er alle Reformen nur den Industriestaaten auferlege und die Entwicklungsländer "praktisch gar nichts tun" müssten.

Zur Kritik vieler Nichtregierungsorganisationen an den "zwei Dollar pro EU-Kuh" stellte Fischler fest, dies sei eine Frage des Lebensstandards und kein WTO-Thema, solange die Förderung nicht den Handel verzerre. Fischler: "Was kommt als Nächstes? Kritik an den Regierungen, weil sie öffentliche Gelder für Krankenhausbetten, teure Lärmschutzwände oder schöne Bäume für Parkanlagen ausgeben, anstatt das Geld nach Afrika zu schicken?" (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 5.9.2003)