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Scheich Yassin

Foto: Reuters/Salem
Gaza - Er gilt als die Seele der Hamas: Trotz seiner körperlichen Gebrechen ist Scheich Ahmed Yassin eine Schlüsselfigur im unerbittlichen Kampf radikaler Palästinenser gegen Israel. Der seit dem Kindesalter an den Rollstuhl gefesselte Yassin ist fester Bestandteil des fatalen Kreislaufs der Gewalt im Nahen Osten. Jedes Mal, wenn die israelische Armee in den Palästinensergebieten Zivilisten oder Extremisten tötet, meldet sich der geistliche Führer der Hamas zu Wort, um mit einer blutigen Antwort zu drohen. Am Samstag wurde der 67-Jährige selbst Ziel eines palästinensischen Luftangriffs in Gaza. Er überlebte leicht verletzt.

Der Vater von elf Kindern wurde 1936 in Majdel in der Nähe der südisraelischen Stadt Ashkelon geboren. Während des israelisch-arabischen Krieges 1948 vertrieben die Israelis alle Bewohner des Dorfes, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Im Alter von zwölf Jahren bekam Yassin im Flüchtlingslager von Shatti im Gazastreifen beim Fußballspiel einen Tritt in die Wirbelsäule. Seitdem ist er querschnittsgelähmt.

"Mudschama-el-Islami"

Trotz seiner Lähmung beendete Yassin seine Schulausbildung in Gaza und studierte ein Jahr an der Kairoer Universität Ein Shams. Weil es an Geld fehlte, konnte er sein Studium nicht beenden. Dennoch war dieses Jahr entscheidend für seine weitere Entwicklung. An der Universität lernte er Mitglieder der ägyptischen Fundamentalisten-Organisation der Moslembrüder kennen. In den 70er Jahren gründete Yassin die "Mudschama-el-Islami" und rekrutierte junge begeisterte Aktivisten für seine Bewegung.

Anfang der 80er Jahre, unmittelbar im Anschluss an die islamische Revolution im Iran, gründete Yassin die militante Organisation "Majd el Mudschaheddin" (Ruhm der Kämpfer des Islams). 1984 wurde er festgenommen und wegen Waffen- und Sprengstoffbesitzes zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Er blieb jedoch nur ein Jahr in Haft, da er im Rahmen eines Gefangenenaustauschs vorzeitig wieder freikam. Nach seiner Freilassung rief Yassin in aller Ruhe eine neue Bewegung ins Leben: Am 14. Dezember 1987, fünf Tage nach Beginn der ersten Intifada, gab die Hamas ihre Gründung bekannt.

Zwei Jahre später wurde der kleine Mann mit dem weißen Bart erneut festgenommen. 1991 verurteilte ihn ein israelisches Militärgericht wegen mehrfachen Mordes und Anstiftung zur Gewalt zu lebenslanger Haft. Während der Gerichtsverhandlung zeigte Yassin sich noch unerschütterlich: "Das jüdische Volk trank den Leidenskelch und lebte überall zerstreut in der Welt. Heute will dasselbe Volk die Palästinenser zwingen, diesen Kelch zu trinken. Die Geschichte wird euch nicht entschuldigen, und Gott wird uns alle richten", erklärte Yassin den Richtern. Achteinhalb Jahre später wurde der Hamas-Gründer auf Drängen Jordaniens in die Freiheit entlassen und sofort nach Jordanien abgeschoben.

Nach einem kurzen Aufenthalt im Krankenhaus in Amman kehrte der kranke Scheich wieder nach Gaza zurück. Möglicherweise unter dem Eindruck seiner langen Haftzeit rief er zunächst zur Mäßigung auf und begrüßte die Annäherung der Hamas an die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) von Yasser Arafat. Doch nicht erst vor dem Hintergrund der jüngsten Friedensinitiative der USA, die ein bedingungsloses Ende der Gewalt fordern, gestalten sich die Beziehungen zur Autonomiebehörde immer schwieriger. Zweimal ließ Arafat den streitbaren alten Mann unter Hausarrest stellen. Was ihn bis heute nicht daran gehindert hat, seine Landsleute immer wieder zum kompromisslosen Kampf gegen Israel anzutreiben. (APA)