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Montage/Fotos:Archiv

Wien - Die Kakerlaken versuchen panisch zu flüchten, als sie der Lichtstrahl aus Herrn Walters Taschenlampe trifft. Der Angestellte der Wienstrom ignoriert das Ungeziefer, das auf und um den Stromzähler krabbelt. Er interessiert sich nur für die Frage, ob an dem Gerät manipuliert wurde, er sucht nach gestohlenem Strom.

Seit neun Jahren fahndet Herr Walter im Auftrag des Wiener Elektrizitätsversorgers nach den technisch mehr oder weniger versierten Dieben, die sich unentgeltlich mit Strom versorgen. Ein Delikt, das sich unter dem Titel "Entziehung von Energie" auch im Strafgesetzbuch als Paragraf 132 findet und, je nach Schadenshöhe, mit bis zu zehn Jahren Haft bedroht ist.

Manipulation des Zählers

Die Methoden des Diebstahls sind unterschiedlich. Neben der Manipulation des Zählers können auch Leitungen verlegt werden, die die Energie vom Nachbarn oder vor dem Zähler abzapfen. Und dann gibt es noch die Möglichkeit, die Verbindung durch Drahtbrücken wiederherzustellen, wenn der Zähler schon entfernt worden ist.

"Die Hemmschwelle sinkt, es wird schon mehr gestohlen als vor ein paar Jahren", resümiert Herr Rainer, der zweite Mann im Fahnderteam. Der Zusammenhang mit der Wirtschaftslage ist offensichtlich, aber nicht immer stehlen die Leute den Strom aus Not, sondern auch aus Geiz. "Wir sind nicht nur im unteren sozialen Milieu unterwegs, sondern hatten auch schon Gasthäuser und Einfamilienhausbesitzer, die ihre Sauna mit gestohlenem Strom betrieben haben", schildern die beiden.

An diesem Abend sind sie aber hauptsächlich in Substandardwohnungen unterwegs. Wie in jenem Haus im 15. Gemeindebezirk, knapp hinter der Lugner-City. Die Wienstrom-Mitarbeiter klopfen an, stellen sich vor. Sie werden zwar in die kleinen Räume gelassen, innerhalb kürzester Zeit sind aber alle Bewohner verschwunden. Die Wohnung hat Strom, obwohl der Zähler schon vor einiger Zeit entfernt wurde. Des Rätsels Lösung: Aus der leer stehenden Nebenwohnung wurde ein Kabel durch die Wand geleitet.

Kabel kreuz und quer

Aber nicht immer werden Herr Walter und Herr Rainer fündig. Auf ihren Karteikarten sind die Verdachtsfälle aufgelistet, die Hinweise kommen von anderen Wienstrom-Abteilungen oder von Nachbarn, die meist Wert auf Anonymität legen. Besonders in letzterem Fall kommt es dann schon vor, dass eine Fahrt umsonst ist. Wie in jenem Haus im 16. Bezirk, wo "kreuz und quer über den Gang gelegte Kabel" gemeldet worden sind. Stichproben ergeben schließlich aber einen Fehlalarm, die Kabel sind andere Leitungen.

Dutzende aktuelle Fälle haben die Fahnder zu bearbeiten, dazu kommen Überprüfungen in den Hunderten Wohnungen, die bereits stromlos gemacht worden sind. Gemessen an den 1,4 Millionen Stromzählern, die in der Bundeshauptstadt und den Umlandgemeinden installiert sind, eigentlich nur ein kleiner Anteil. Dennoch kommt monatlich ein fünfstelliger Eurobetrag an Nachforderungen zustande, die Stromfahnder finanzieren sich selbst.

Abschalten

Dieses Geld ist aber teilweise schwer verdient. Wie im Fall einer Familie am Hernalser Gürtel. Der Zähler ist manipuliert, er wird abmontiert. Die Mutter der Wohnungsbesitzerin steht mit einem Kleinkind und einem Buben auf dem Gang und klagt ihr Leid: Sie beziehe nur Notstandshilfe, um des Babys willen solle man ihr doch den Strom lassen. Herr Walter bleibt hart, die Polizei wird verständigt, um die Anzeige aufzunehmen. "Es gibt natürlich schon Grenzfälle, wo man sagt, ,kommen Sie in zwei Tagen und vereinbaren Sie eine Ratenzahlung', dann lasse ich den Strom so lange. Aber meistens kommen die Leute dann eben doch nicht, und wir müssen letztendlich abschalten", konstatiert Herr Rainer resignierend.

Gegen 21 Uhr endet die Tour, die letzten beiden Fälle werden im Vorbeifahren überprüft. In den Wohnungen brennt kein Licht, daher erübrigt sich an diesem Abend eine nähere Kontrolle. Und die Kakerlaken können die Abwärme der Stromzähler vorerst noch weiter genießen. (Michael Möseneder, DER STANDARD Printausgabe 8.9.2003)