Nicht in Linz, sondern in Frankfurt wird jedes Jahr ein Preis verliehen, den eigentlich keiner haben will. Wenn der Präsident des Europäischen Patentamtes in seiner "Laudatio" die Milliardenverluste durch Ideenklau beweint, sind die Preisträger des wenig begehrten "Plagiarius Preises" - meist chinesische oder koreanische Firmen - auch gar nicht anwesend.

Die Botschaften verpuffen, aber das ist in einer Welt, in der kein Lebensbereich mehr vor Fälschungen gefeit ist, nicht verwunderlich. Unser Alltag ist voll von billigen Kopien: Die Zahl der Euro-Blüten steigt beständig, die Zahl von chirurgisch korrigierten Oberweiten auch. Das Feilschen um Fakes von Markenartikeln entwickelt sich weltweit zum klassenübergreifenden Volkssport. Individuen werden im Datennetz zu Chamäleons, können sich jünger, klüger und schöner machen, bei Bedarf auch das Geschlecht wechseln. Jede Tiefkühlpizza schwört auf der Packung ein Original zu sein, und "Reality TV" verspricht mit gecasteten Typen das wahre Leben auf der Mattscheibe. Der Stern hielt 1983 seine Leser mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern in Atem - bis der Schwindel aufflog.

Täglich werden in den Medien Hinweise zu Fakten verbogen, Indizien zu Beweisen gemacht, Meldungen über- oder missinterpretiert, und dieses Phänomen lässt sich längst nicht nur in Hinblick auf den Irakkrieg der US-Regierung beobachten.

Wollen wir alle betrogen sein?

Die Wahrheit ist das alles nicht. Wollen wir also alle betrogen sein? Diese Frage beschäftigt unter anderem jetzt in Linz die Gemüter. "Wir leben in einer Welt der Fakes", sagt Wolfgang Winkler, künstlerischer Leiter des Brucknerhauses. Er und Willibald Katzinger, Direktor des Nordico, hatten zur selben Zeit die gleiche Idee für eine Ausstellung. Dass sie mit diesem vielschichtigen Thema sofort sämtliche Linzer Institutionen für das Projekt begeistern konnten, damit hatte keiner gerechnet. Aber es war so. "Echt Falsch" heißt die große Veranstaltungsreihe, die sich bis April des kommenden Jahres mit den komplexen Phänomenen von Wahrheit und Lüge und Original und Fälschung beschäftigt.

Der Schriftzug von Coca-Cola, mit dem "Echt Falsch" auf dem begleitenden Programmheft geschrieben steht, sagt schon fast alles: Es geht also um falsche Heilige und unechte Reliquien, um Produktpiraterie oder Kunstfälschungen im Museum. Aber das Halbjahres-Event hat nicht nur mit Dingen zu tun, wie der Vorwort-Schreiber und Linz-Fan Helmut A. Gansterer proklamiert, sondern auch mit Psychologie, mit Denken und mit Sprache.

Echt oder falsch - eine Frage der Absicht

Echt oder falsch, Wahrheit oder Schwindel - das ist in erster Linie immer auch eine Frage der Absicht. "Der schöne Schein ist uns heilig in einer eitlen Medien-, Kommerz- und Leistungsgesellschaft", schreibt Hannes Etzlstorfer im ersten Beitrag zum begleitenden Buch "echtfalsch", einer Sammlung von Texten zum Thema. Es gäbe keine gefälschten Rolex-Uhren mit falschen Klunkern, kein Ralph Lauren Polo-Shirt, auf dem der Reiter den Poloschläger etwas flacher hält als sein nobler Vorreiter, keine imitierten Gucci-Taschen, auf denen das G viel platter wirkt, wenn es dafür keine Abnehmer gäbe.

Die Schnäppchenjäger machen sich zumindest zu Komplizen, weil sie etwas vorgeben wollen, was nicht ist - und damit auch in die Rolle der Täter oder Blender schlüpfen. Wenn wir uns aber mit täuschend echten Kopien von Prestigeobjekten schmücken, um gesellschaftlich anerkannt zu sein, müssen wir noch keine moralische Keule fürchten: Wir können das gefälschte Original augenzwinkernd als Kopie outen - wenn es die anderen für echt halten oder hielten, umso besser. Bei gefälschten Dokumenten, wie Verträgen oder Identitätsnachweisen sieht die Sache schon ganz anders aus. Auch bei wertvollen Kunstschätzen. Es gäbe zumindest weniger gefälschte Signaturen an Gemälden, würde nicht das Kunstwerk marktrelevanter Künstler vor allem als Geldanlage gehandelt werden. Das echt falsche Spiel hat hier plötzlich Konsequenzen: Die Käufer solcher Machwerke werden in der Sehnsucht nach dem Original plötzlich in die Rolle der Getäuschten oder Opfer gedrängt.

Das Tarnen und Täuschen ist also längst nicht auf die schnöde Welt der Markenartikel beschränkt - auch Disziplinen mit höheren Weihen, wie eben die Kunst und Wissenschaft, sind vor Fälschern nicht gefeit. Die Faszination für das Original, das die Einzigartigkeit und Echtheit einer geistigen, handwerklichen und künstlerischen Leistung besiegelt, hält gleichzeitig auch die Faszination für die Fälschung in Schwung.

Nachahmen, fladern, überarbeiten, ...

Zum Schutz der Originale haben wir sogar eigene Institutionen ins Leben gerufen. In Museen oder Archiven glauben wir die Originale in Sicherheit. Aber auch hier ist nicht alles Gold, was glänzt. Wie viel an einem Gemälde muss wirklich von der Hand des Meistern stammen, um als Original zu gelten? Bedeutet eine Restaurierung eines Kunstwerks nicht immer auch eine einschneidende Veränderung? Die strengen Grenzen zwischen Original, Überarbeitung und Kopie, die in der Museumspraxis herrschen, sind für Künstler keinesfalls bindend. In der Traditionskette berühmter Nachahmer früherer Kunst finden sich höchst bekannte Namen wie Michelangelo, Rembrandt, Rubens, Goya, Degas oder Picasso. "Mozart hat gefladert, was das Zeug hält", sagt Winkler lapidar über das österreichische Musikgenie und ist sich sicher, dass die Hysterie, immer alles neu erfinden zu müssen, noch nicht sehr alt ist.

In einer Zeit der weltweiten Vernetzung, virtuellen Realitäten und technisch fast beliebig häufiger Reproduzierbarkeit mutet die Frage nach dem Original fast museal an. Vielleicht wird sie aber auch wieder wichtiger in der Flut an Beliebigkeit, Austauschbarkeit und Massenproduktion. In der Hochburg aller Fälscher - in China - fehlt vielen Tätern das Unrechtsbewusstsein - und das hat vor allem kulturhistorische Gründe: In der traditionellen Malerei ist eine gute Kopie genauso viel wert wie das Original. Kopieren hat in Asien viel mit Hochachtung vor dem besseren Lehrer zu tun. Aufgrund dieser vermeintlichen Hochachtung wird heute im Reich der Mitte hemmungslos abgekupfert: CDs oder Kaschmirpullover, Viagrapillen oder Ventile, Deoroller oder Duftwässerchen. Die Produktpiraten imitieren alles, was ausländische Investoren in China herstellen.

Aber wie lautet dort ein geflügeltes Sprichwort: "In China ist nur deine Mutter echt". (Mia Eidlhuber, DER STANDARD, rondo/08/09/2003)