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Ein Blick aus dem Fenster des Flüchtlings- lagers Traiskirchen, wo im Jahr 2000 die umstrittene Razzia stattgefunden hat

Foto: APA/Gindl
Wien/Traiskirchen - "We are the police" - mit dieser Ansage begann im Jänner 2000 die bisher größte Razzia im und rund um das Flüchtlingslager Traiskirchen (NÖ). Für die zuständige Kriminalabteilung Niederösterreich war die Aktion, genannt "Operation Streetrunner", ein erfolgreicher Schlag gegen die Drogenmafia. Für Betroffene ein Menschenrechtsfiasko, aus dem die bisher umfangreichste Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) resultierte. Nun, dreieinhalb Jahre später, liegen dem STANDARD erste Entscheidungen vor: Der Einsatz war über weite Strecken unrechtmäßig und menschenrechtswidrig.

Senatsmitglied Paul Marzi vom UVS St. Pölten wurde es nicht leicht gemacht: Im Namen von 32 Asylwerbern hatte der Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Rainer einen Beschwerdenkatalog mit insgesamt 282 Gesetzesverstößen eingebracht. Senatsmitglied Marzi hat es sich selbst aber auch nicht leicht gemacht. Allein die Verhandlungen dauerten ein Dreivierteljahr, rund 80 Personen wurden einvernommen. Nach einer krankheitsbedingten Verzögerung langten bisher die ersten sechs der 32 Entscheidungen ein.

Der UVS kommt zu dem Schluss, dass die Razzia im Haus 3 des Flüchtlingslagers, wo ausschließlich afrikanische Asylwerber untergebracht waren, rechtswidrig war. Es habe gar keinen gerichtlichen Durchsuchungsbefehl gegeben. Hintergrund: Die Razzia war ursprünglich auf das Traiskirchner Bahnhofsgelände und auf ein Lokal beschränkt, die Ausweitung auf das Lager fand "ausschließlich aus kriminaltaktischen Gründen" statt, heißt es im UVS-Entscheid. Dies sei jedoch "nicht rechtlich abgesichert" gewesen.

Präventiv gefesselt

Die pauschale Verhaftung aller in Haus 3 aufhältigen Personen sei nicht erforderlich gewesen. Die "generell präventive" Fesselung der Asylwerber mittels Plastikbändern erachtet der UVS als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Es habe weder Fluchtgefahr bestanden noch Selbst-oder Fremdgefährdung. "Es bedarf keiner ausführlichen Begründung, dass stundenlange Fesselung physisches und psychisches Leid verursacht", stellt der UVS fest.

Auch dass den Betroffenen stundenlang verboten wurde, aufs WC zu gehen oder Wasser zu trinken, ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Den Angaben der Beamten, sie hätten "derartige Wünsche nicht gehört", schenkt der UVS keinen Glauben.

Neben den inkriminierten Gesetzesverletzungen liefern die detaillierten Ausführungen von UVS-Mitglied Paul Marzi auch ein atmosphärisches Gesamtbild des Großeinsatzes. So habe die Einsatzleitung beispielsweise "materiell" nicht vorgesorgt: "Sogar Haftzettel waren nicht in ausreichender Anzahl vorhanden und mussten von außerhalb geholt werden." Gleiches galt für Fotomaterial für die erkennungsdienstliche Behandlung. Dass die meisten Asylwerber an Ort und Stelle fotografiert wurden, sieht der UVS überhaupt als unangebracht an, denn im Gegenteil zu dem Lokal, wo die Razzia ihren Anfang genommen hatte, habe das Lager nicht als "verdächtiger Ort" gegolten.

Falsche Vorwürfe

Zehn Beschwerdepunkte hat der UVS Niederösterreich abgewiesen. So habe sich beispielsweise in einem Fall der schwer wiegende Vorwurf, es hätten auch Analvisitationen stattgefunden, als falsch herausgestellt. Dies ist unter anderem durch ein medizinisches Gutachten belegt. Auch der generelle Vorwurf, die Razzia sei diskriminierend gewesen, weil nur Schwarze überprüft worden seien, hielt nicht. Der UVS bezieht sich auf die Angaben eines verdeckten Ermittlers, denen zufolge es an diesem Tag eben ausschließlich gegen "schwarzafrikanische Verdächtige" gegangen sei. In diesem Zusammenhang sei auch die Kontrolle aller Schlafplätze in Ordnung gewesen.

Rechtsanwalt Wolfgang Rainer erwartet in den kommenden Tagen die noch ausständigen 26 UVS-Entscheidungen. Gegen die abschlägigen Punkte werde er Einspruch erheben, kündigte Rainer im Gespräch mit dem STANDARD an. Nächster Schritt: Amtshaftungsklagen gegen die Republik Österreich und Schmerzensgeldforderungen.

Anzeige gegen involvierten Gendarmeriebeamten

Eine Anzeige gegen die involvierten Gendarmeriebeamten wurde übrigens bereits im April 2001 von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt zurückgelegt. Mit den internen Ermittlungen war ausgerechnet die Kriminalabteilung Niederösterreich, die auch federführend bei der Razzia war, beauftragt.

Nach der "Operation Streetrunner" wurden 13 Verdächtige wegen Drogendelikten zu insgesamt 12,5 Jahren Haft verurteilt. Kein Einziger davon war im Flüchtlingslager geschnappt worden. (Michael Simoner, Der Standard, Printausgabe, 09.09.2003)