Die Terrorattacken des 11. Septembers 2001 haben nicht nur die Verwundbarkeit moderner Staatsstrukturen gezeigt, sondern in den USA auch zu stärkerer Überwachung der Bürger geführt. Im Bewusstsein des Faktums, dass der Sozialstaat nicht mehr so großzügig finanziert werden könne wie in den 70er- und 80er-Jahren, nahm das Staatsverständnis auch in Europa neue Konturen an. Im Zuge mehrerer Privatisierungswellen wurde der fette Staat schon in den 90ern zum schlanken Staat. In manchen Staaten wie Österreich eher noch theoretisch, in anderen Ländern wie Dänemark oder Finnland auch in der Realität.

Nach 9/11 wurde der Terror dazu benützt, den abgemagerten Staat zu stärken, indem man demokratische Freiheiten zurücknahm und mithilfe der modernen Computertechnik die Überwachung ein Stück in Richtung von George Orwells "1984" trieb. Dabei kommt es zu Paradoxien und Widersprüchen, die der Politik zu schaffen machen.

Deregulierung und Kosteneffizienz: Nicht nur auf dem amerikanischen Markt haben die Deregulierung in der Luftfahrt und der damit verbundene Preiskampf zu dramatischen Sicherheitsmängeln geführt. Unter dem Diktat der Kosteneffizienz wurden billige und schlecht ausgebildete Arbeitskräfte an die Überwachungsgeräte gestellt. Der Widerspruch: Ein hochgerüsteter und hoch technisierter Staat erlaubt sich Fehler, die nicht passiert sind, sondern förmlich geplant wurden.

Einwanderung und Fremdenfeindlichkeit: In den fetten Wirtschaftsjahren wurden in Zentraleuropa Einwanderer aus Jugoslawien und der Türkei forciert in den Arbeitsprozess integriert. Nicht aber in die Gesellschaft. Die daraus entstandenen Konflikte und Widersprüche haben sich seit den 80er-Jahren verschärft. Die Verteilungskämpfe und die Mechanismen der Verdrängung inländischer Hilfskräfte aus dem Arbeitsmarkt haben politische Landschaften umgestaltet und den rechtsextremen Populismus ermöglicht. Aber nicht nur das: Diskriminierung und soziale Not haben unter den Ausländern den Einfluss radikaler religiöser Gruppen begünstigt. Europa antwortet mit Festungsmentalität. Und stellt dabei sogar den Rechtsstaat infrage, weil dessen liberale Gesetze den eigenen friedliebenden Bürger im Auge haben, nicht aber den fundamentalistischen Radikalen.

Medien und Justiz: Die Printmedien führen seit dem Zusammenbruch der Hochkonjunktur im Jahre 2001 einen Überlebenskampf. Just in dieser Situation einer Umstrukturierung beschlossen nicht wenige Regierungen, die Zügel anzuziehen. Allen voran die USA, wo man eine Doppelstrategie versuchte - einerseits den kritischen Journalisten mangelnden Patriotismus vorzuwerfen, andererseits durch noch nie da gewesene Ermächtigungen bei der Überwachung Kritiker und Intellektuelle einzuschüchtern. Auch in Österreich wurde versucht, durch Gesetzesnovellen die Informationszugänge einzuengen. Dazu kommt eine wachsende "Zugriffslust" der Politik. Im ORF "wünscht" man sich bestimmte Journalisten und lehnt lästige für Interviews ab. Bei Print-Interviews wird zunehmend versucht, vor Veröffentlichung ganze Passagen umzudeuten oder umzuschreiben. Dazu kommt der neueste Clou: Zur Erlangung eines Presseausweises sollen angestellte und ausgewiesene Journalisten ein Leumundszeugnis vorlegen.

All das sind nicht nur Facetten unserer Spaßgesellschaft, der am 11. September 2001 und dann wieder beim Irakkrieg das Lachen vergangen ist. In der Tat forciert die Globalisierung den starken Staat als Instrument von Politikern und mit ihnen verbundenen Industriellen. Er wird zum Wachmann der Gewinner, weil das Schutzbedürfnis jener Schichten wächst, die in den versteckten Kriegen am meisten gefährdet sind.

Verloren haben zunächst der fürsorgende Staat und der subventionierte Kulturliberalismus der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts. Sie waren möglicherweise nur eine kurze Episode der Geschichte. (DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2003)