Irgendwo tosen Gebläse vor sich hin, die ein riesiges Raumschiff aus weichem Kunststoff am Schweben halten. White Bouncy Castle, das der Frankfurter Ballettchef William Forsythe gemeinsam mit Dana Caspersen entwickelt hat, ist zunächst eine große Installation. Als solche nimmt sie Prinzipien und Dimensionen des Raumes, der sie umgibt, auf und bricht sie.

Doch William Forsythe wäre kein Choreograf, wenn er es dabei belassen würde. Wie jede seiner Choreografien für die Bühne ist auch White Bouncy Castle letztlich eine Untersuchung über bestimmte Parameter des Tanzes. Wie verhält sich der Körper unter bestimmten Bedingungen? Was geschieht, wenn er, wie in diesem Luftschloss, "ballistisch" wird? White Bouncy Castle, das nach seiner Premiere 1997 im Roundhouse, einem alten Straßenbahndepot im Norden Londons, noch im Bockenheimer Depot in Frankfurt zu sehen war, bevor es jetzt nach Wien kommt, ist laut Forsythe sein bisher erfolgreichstes choreografisches Projekt. Seit 1997 hat William Forsythe verschiedene Projekte entwickelt, die den vorgegebenen Rahmen und die damit verbundenen Gesetzmäßigkeiten des Theaters verlassen.

Es sind Interventionen im Alltag, die wie in City of Abstracts Passanten zu Tänzern in einer sich spontan entwickelnden Choreografie machen. Wie auch bei Instructions, einem Projekt, in dem choreografische Instruktionen über die Anzeigetafeln am Bahnhof publik gemacht wurden. Den Tanz durch eine gelenkte Wahrnehmungssituation anders zu organisieren und anders erfahrbar zu machen ist das erklärte Ziel des Choreografen.


Hüpfen, getüftelt

Tanz kann jederzeit und überall stattfinden. Die Grenzen zwischen Zuschauern und Tänzern werden dabei durchlässig. Jeder kann zum Tänzer werden und sich dabei beobachten. Doch Forsythe überlässt die Teilnehmer nicht ganz sich selbst.

White Bouncy Castle ist eine genau ausgetüftelte Versuchsanordnung, die auf die Eigenwahrnehmung des Körpers zielt und diese bewusst steuert. Indem man mit dem Raum, der eine Art choreografisches Environment bildet, interagiert, verändert sich die Eigenwahrnehmung des Körpers. Vor der großen Hüpfburg darf man daher nicht stehen bleiben und sie aus der Distanz betrachten wie das Geschehen auf einer Bühne. Nur wer die Schuhe tatsächlich auszieht und sich in die Burg begibt, kann körperlich verstehen, was es heißt zu tanzen.

Hat man die Hüpfburg einmal betreten, muss man sein Gewicht verlagern, um die Balance zu halten. Und man muss auf die unvorhergesehenen Veränderungen reagieren, die dadurch entstehen, dass die Menschen um einen herum ausgelassen auf und ab springen. Klangfetzen von Joel Ryan dringen ans Ohr. Einmal hoch oben, so hoch, dass man über die schützenden Zinnen der Trutzburg in den Raum dahinter blicken kann, wird manch einer plötzlich euphorisch und schießt durch die Luft wie ein Ball.

Zuweilen schließen sich andere Menschen an, und ein gemeinsamer Rhythmus entsteht, ohne dass man sich vorher verabredet hätte. Man tanzt eine kleine Weile zusammen, bevor sich das Arrangement ebenso zwanglos wieder auflöst und umgruppiert. White Bouncy Castle ist vor allem eines nicht: didaktisch. Es macht unbändigen Spaß, sich beim Hüpfen ganz den Gesetzen der Ballistik und seinem Körper zu überlassen. (Gerald Siegmund/ DER STANDARD, Printausgabe, 12.9.2003)