Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Aber nicht alles ist ein Fest, was vom Veranstalter laut gepriesen wird. "Die Presse" feierte vor kaum zwei Wochen, am 26. August. Da teilte sie ihren Lesern mit: Großer Erfolg für die "Presse".

War es auch. Laut Auflagenkontrolle (ÖAK) konnte das Blatt die Verkaufsauflage im zweiten Quartal 2003, also nach dem umfassenden Relaunch im Februar, auf 77.643 Stück täglich steigern. Und nicht nur das. Sie liegt unter den Qualitätszeitungen mit 102.131 auch in der Verbreitung deutlich voran.

Man freut sich immer und neidlos, wenn die Qualitätspresse nicht nur in der Verkaufsauflage, sondern auch in der Verbreitung zulegt. Vor allem, wenn es wahr ist. Da labt man sich geradezu an solch kühnem Eigenlob, wie "Presse" zieht davon, und ist auch nicht gekränkt, wenn es heißt: Die "Presse" ist durch die ÖAK-Zahlen als Österreichs auflagenstärkste Qualitätszeitung bestätigt worden. Sie liegt deutlich vor dem "Standard". Selbst wenn es so deutlich auch wieder nicht war.

Leider wurde die Freude über den jüngsten Erfolg der "Presse" durch die allerjüngste Media-Analyse für das erste Halbjahr 2003 etwas getrübt. Das liegt vielleicht ein wenig an den Unterschieden zwischen der ÖAK und der MA. Die Auflagezahlen der ÖAK, auf die Die Presse" so stolz war, beruhen auf Verlagsangaben, die von Wirtschaftsprüfern kontrolliert werden, an deren Qualität zu zweifeln kein Grund besteht. Die Media-Analyse ist ein groß angelegtes empirisches Umfragewerk, das von unabhängigen Instituten durchgeführt wird und nicht die gedruckte und überwiegend auch verkaufte Auflage misst, sondern die wesentlich interessantere Reichweite eines Mediums, also die Zahl der Leser.

Gleiches Interesse an einer erfreulichen Reichweitenentwicklung der Qualitätsmedien auch bei der "Presse" vorausgesetzt, war daher damit zu rechnen, dass deren heutiger Bericht über die MA unter dem Titel steht: "Der Standard zieht davon." Sollte es anders sein, müsste man sich über das bei der "Presse" herrschende Verständnis von objektiver Berichterstattung wundern. Denn laut Media-Analyse ist die Reichweite der "Presse" im Vergleich zum Vorjahr von 5,5 Prozent auf 4,8 Prozent gesunken, die des STANDARD nicht: 6,0 nach 5,8 Prozent.

Anders gesagt: Dem STANDARD werden nach 386.000 nun 405.000 Leser bestätigt, die Zahl der "Presse"-Leser ist von 368.000 auf 325.000 gesunken. War es die ruhmlose Preisgabe der alten Rechtschreibung, die "Presse"-Leser vergrätzte? Oder kann es sein, dass der immer wieder gerühmte Relaunch des Blattes einigen Redakteuren besser gefällt als einem ästhetisch unberechenbaren Publikum?

Wie auch immer: Täglich 80.000 Leser weniger als DER STANDARD - und daran ändert auch der Aufruf der Media-Analysten zur Schonung nichts, man möge wegen Modifikationen des MA-Fragebogens für 2003 von einem Vergleich mit den Vorjahresdaten absehen. Die "Modifikation" besteht in der diesmal eingeschobenen Frage, wo man Zeitungen lese. Sonst hat sich am Abfragemodus bei den Printmedien nichts geändert.

Die Verantwortlichen der "Presse" dürften vor zwei Wochen schon geahnt haben, was auf sie zukommt, darum machten sie noch schnell einen drauf. Denn überraschend kommt der Absturz des Blattes in der Lesergunst nicht. Seit 2001 ging die Reichweite in Halbjahresschritten von 5,7 über 5,5 und 5,1 auf nunmehr 4,8 Prozent zurück. Schade. Wie sich die tollen Auflagezahlen der "Presse" mit den schrumpfenden Leserzahlen in Übereinstimmung bringen lassen, das ist wohl ein metaphysisches Problem. Freunde der Qualitätspresse können nur hoffen, dass die Leserzahl in absehbarer Zeit nicht unter die Zahl der verbreiteten Exemplare sinkt. So schlecht war der Relaunch ja wieder nicht.

Gut abgeschnitten hat bei der Media-Analyse auch die "Neue Kärntner Tageszeitung". Sie konnte ihre Reichweite von 1,2 Prozent halten, was ohne Zweifel nicht zuletzt auf die feinfühlige Gestaltung des Bestiariums Tier und Wir des Kleinformats zurückzuführen ist. Dieser Tage wurde dort über die "Katzenmutti von Seeboden" berichtet, die - ungelogen - nach einer bewegten Vergangenheit nur für ihre Tiere lebt. Die rüstige Achtzigerin erzählt von ihrer Leidenschaft für Katzen und aus ihrem Leben, was der "KTZ" die Gelegenheit bietet, das Einzelschicksal von Frauchen mit dem der großen Volksgemeinschaft auf das Bodenständigste zu verweben.

Volk in Not: Der Vater hat den Gasthof Hofer geführt. Mitte der dreißiger Jahre ist ihr Vater mit seiner Familie nach Bayern geflohen. Mieze, steh auf: "Immer wieder liefen mir viele Katzen zu. Ich nahm sie alle gern auf."

Volksgemeinschaft: Nach dem Anschluss an Deutschland ist die Familie wieder nach Millstatt gezogen. "Entgegenkommenderweise" hat sie der Jüdin Blum, "die unbedingt nach Ungarn siedeln wollte", die Villa und Fremdenpension abgekauft. Katzengemeinschaft: "Es sprach sich schnell in der ganzen Umgebung herum, dass ich bei verlassenen, armen Katzen nie ,nein' sagen konnte.

Menschenliebe: 1941 hat ihr Mann eine Stelle im SS-Personalhauptamt in Berlin angetreten. Sie hat als Zahnarztassistentin bei SS-Brigadeführer Prof. Johann Blaschke in der angeschlossenen Zahnklinik gearbeitet. Gewohnt haben sie bei SS-Brigadeführer Eberhard Herf - ihn hat man nach dem Krieg in Minsk erhängt. Tierliebe: "Ich mochte Tiere schon immer. Menschen sind nett, aber Tiere liebe ich oft mehr."

Menschenquälerei: Sie hat den unsagbaren Horror des Kampfes um Berlin er- und überlebt. Tierquälerei: "Meine ersten beiden Katzen hießen ,Muckiza und Guckiza'. Später nannte ich meine Samtpfoten nach Leuten, die mir gefielen.

Riesenüberraschung: Sie ist auf Suche nach Arbeit zur Privatordination Prof. Blaschkes gegangen. Blaschke war abgeführt worden. Sein Nachfolger, Ex-SS-Zahnarzt Dr. Bruck aus Lignitz hat in Wahrheit Burkhart geheißen. Und: Er war Jude! Ein U-Boot im SS-Personalhauptamt. Zwergenüberraschung: "Meine Liebe und Fürsorge für die Katzen brachte mich schon ins Fernsehen und in die Zeitungen." Liebte Hitler nicht Blondi? Tierliebe im Widerstand! - Da wird der Kärntner weich, und die "KTZ" weiß es.


(DER STANDARD, Printausgabe, 12.9.2003)