Wien - Eine österreichische Identität zu erkämpfen und über religiöse oder politische Gegensätze hinweg das "Gespräch der Feinde" zu führen: Das war das Anliegen des österreichischen Kunsthistorikers, Publizisten, Schriftstellers und Chefdramaturgen am Wiener Burgtheater Friedrich Heer (1916 bis 1983).

Heer gilt als einer der bedeutendsten Intellektuellen Österreichs im 20. Jahrhundert. Anlässlich seines 20. Todestags am 18. September startet der Böhlau Verlag eine Edition ausgewählter Werke Heers mit dessen spätem Text "Das Wagnis der schöpferischen Vernunft".

Treffsicher

Heer trug mit seinen zielgenauen Formulierungen in seinen 50 Büchern und Hunderten von Essays und Artikeln (Adolf Gaisbauer hat 1990 3.500 Veröffentlichungen in einer Heer-Bibliographie zusammengetragen) zum Zitatenschatz der Nation bei. Mit seinen wortreich verfochtenen Überzeugungen saß Heer im Nachkriegsösterreich zwischen allen Stühlen. Von 1949 bis 1961 Chefredakteur der Wochenzeitschrift "Die Furche", galt der Kirchenkritiker als einer der Wortführer der Linkskatholiken.

Rudolf Augstein bezeichnete das 1967 erschienene Werk "Gottes erste Liebe" zum Verhältnis von Christen und Juden als "zwischen zwei Buchdeckeln eingebundene Atombombe". Für Zündstoff sorgte Heer auch im Folgeband ("Der Glaube des Adolf Hitler"), wo er Hitlers Antisemitismus kirchengeschichtlich fundierte.

"Europa unser"

Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs rief Heer im aufkeimenden Kalten Krieg zum "Gespräch der Feinde" auf, um im Prozess des gegenseitigen Kennenlernens Hass und Feindschaft abzubauen. Die europäische Idee ("Europa unser") ließ Heer ebenso wenig los wie der Abbau von verhärteten Fronten, die dieses Europa durchzogen. Auch die Gegensätze innerhalb der österreichischen Seele sollen in offenem Dialog ("Der Kampf um die österreichische Identität") erstritten werden, um der heimischen Identitätsfindung nachzuhelfen. "Wir haben zuwenig qualifizierte Gegnerschaft und zuviel unqualifizierte Feindschaft", sagte Heer, der in Österreich als Vermittler zwischen verschiedensten ideologischen und religiösen Fronten auch selber zwischen selbige geriet, einmal.

Neben seiner Lehr- und Forschungstätigkeit als außerordentlicher Professor an der Universität Wien wurde er durch seine Fachbücher über christlich-abendländische Geistesgeschichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Unter dem Pseudonym Hermann Gohde veröffentlichte er den Roman "Der achte Tag".

Werdegang

An der Uni Wien studierte der am 10. 4. 1916 in Wien geborene Heer Geschichte, Kunstgeschichte und Germanistik, er habilitierte sich 1950. Ab 1961 arbeitete Heer elf Jahre lang als Chefdramaturg am Wiener Burgtheater. Neben seinen journalistischen und künstlerischen Tätigkeiten betätigte sich der Historiker aber auch nach wie vor wissenschaftlich. Er hielt Vorträge und schrieb zahlreiche Fachbücher, darunter historische Werke, aber auch zeitkritische Schriften. "Aufgang Europas" (1949), "Europäische Geistesgeschichte" (1953) oder "Europa - Mutter der Revolutionen" (1964) zählen zu seinen wichtigsten Werken. Heers Bücher wurden auch in zahlreiche Sprachen, darunter Englisch, Französisch, Spanisch und Neuhebräisch, übertragen.

1949 wurde Heer der Preis der Stadt Wien für Geisteswissenschaften zuerkannt. Als Würdigung für seine Beiträge zum christlich-jüdischen Dialog zeichnete ihn der Koordinationsrat der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit 1968 mit der Buber-Rosenzweig-Medaille aus. 1972 erhielt Heer den Großen Österreichischen Staatspreis verliehen. (APA)