Liebe ist stärker als der Tod

Neben Hank Williams war er der größte Countrysänger aller Zeiten: Johnny Cash, der „Man in Black", ist in der Nacht zum Freitag nach jahrelanger schwerer Krankheit im Alter von 71 Jahren gestorben.

Christian Schachinger

Nashville - „Everyone I know goes away in the end . . ." Der Klavierdeckel wird geschlossen. Die Bilder der Lebensstationen sind noch einmal vor dem inneren Auge abgelaufen. Johnny Cash und seine Frau June sitzen zwar abgelebt, aber unendlich würdevoll in ihrem schon zu Lebzeiten zum Museum gewordenen Haus in Nashville, Tennessee. Das letzte Lied ist verklungen. Jetzt heißt es nur noch warten. In Demut und Stille. Man kann kein Herz haben, wenn man beim Sehen des letzten Videos von Johnny Cash aus 2002 keine Gänsehaut bekommt. Geht es doch in neben dem nahenden Tod laut Cash auch um sein Lebensthema: „Der Song handelt vom Schmerz eines Mannes und von dem, was wir alle bereit sind, uns selbst zuzumuten – und schließlich von der Möglichkeit, das nicht mehr zu tun." Dass er diesen Song und das im Vorjahr veröffentlichte Album American Recordings IV: The Man Comes Around trotz jahrelanger schwerer Nervenkrankheit, der seltenen, aber umso heimtückischeren Autonomen Neuropathie, und zahlreicher Krankenhausaufenthalte überhaupt noch aufnehmen konnte, war seinem ungebrochenen Willen zu verdanken. Cash im Herbst 2002: „Ich habe beschlossen, diese Krankheit mit reiner Willenskraft zu besiegen. Manchmal bin ich ins Studio gegangen und habe das Gefühl gehabt, keine Stimme mehr zu haben. aber ich habe gesungen, als ob es das Letzte wäre, was ich in dieser Welt machen kann. Und die Lieder vermitteln dieses Gefühl, dieses Feuer, diesen Furor und diese Leidenschaft. Aus der Schwäche wächst die Kraft." Und, guter Gott, was hatte Johnny Cash als junger wilder Mann alles für Schwächen! 1932 als Sohn von Baumwollfarmern in Arkansas geboren, entdeckte John R. Cash erst während seines Armeedienstes als Funker im deutschen Landsberg am Lech seine Liebe zur Musik. In langen Nächten brachte er sich das Gitarrespielen bei und schrieb erste Songs. Nach seiner Entlassung ließ er sich mit seiner ersten Frau Vivian in Memphis, Tennessee, nieder. Tagsüber schlug er sich als Staubsaugervertreter durch, nachts zog er mit seiner Band The Tennessee-Three um die Häuser. 1955 spielte er im bald mit Elvis Presley zu Weltruhm gelangenden Sun-Studio seine erste Single ein, Hey Porter und Cry, Cry, Cry.

Der Country-Outlaw

Der finster wirkende Mann mit dem durchdringenden Blick und der tiefen, von der Welt ziemlich unbeeindruckten Baritonstimme nimmt in den folgenden Jahren immer wieder auch auf dem Rhythmus rollender Güterzüge („Boom-Chicka-Boom") basierende Meilensteine des Country- Genres auf: I Walk The Line, Ring Of Fire, Don’t Take Your Guns To Town, vor allem aber den Folsom Prison Blues mit der berühmten Textzeile: „I shot a man in Reno, just to watch him die." Der Song begründete schließlich auch seinen Ruf als Vater aller Country- Outlaws. Und der Ruf kam nicht von ungefähr. Cash über seine wilde Zeit in den 50er-Jahren, als er den Lebensstil des Rock ’n’ Roll miterfand: „Ich bin nicht glücklich damit, dass die Art von Hotelvandalismus, der ich den Weg bereitet habe, für viele Leute heute eine Art Totem darstellt, eine harmlose und bewundernswerte Mischung aus jugendlichem Übermut und Missachtung von Konventionen. Für mich war es damals etwas völlig anderes. Es war dunkler und tiefer. Es war Gewalt." Der Tourbus stoppte damals nur selten. Und fern von Frau und Kind kamen mit der Langeweile auch die Schmerzen und Schuldgefühle und mit ihnen die Drogen. 1965 erwischte man Cash in El Paso mit über 1000 Amphetamintabletten. Er verbrachte eine Nacht im Gefängnis – und nach dem Scheitern seiner ersten Ehe nahm ihn seine zweite Frau, June Carter-Cash, die dem erzkonservativen Countrymusik-Klan der Carter Family entstammte, unter ihre Fittiche. Sie rettete ihm damals das Leben. Cash begann nicht nur religiöse Lieder aufzunehmen und mit dem rechten Prediger Billy Graham zu touren, während er gleichzeitig über seine Freundschaft mit Bob Dylan für die Hippies akzeptabel erschien. Er setzte sich auch für ethnische Minderheiten ein und gastierte mit galligen Outlaw- Songs wie A Boy Named Sue oder 25 Minutes To Go in Gefängnissen (Live at Folsom Prison, Live at San Quentin). Andererseits spielte er als Gegner des Vietnamkriegs sowohl für die Truppen in Übersee, wie er als glühender Patriot während des Watergate- Skandals für Richard Nixon im Weißen Haus sang. Als Man In Black, der so lange Schwarz tragen wollte, wie es Leid und Ungerechtigkeit auf der Welt gibt, begann sich Cash schließlich ab Mitte der 70er-Jahre in Belanglosigkeit zu verlieren. Die Lieder gingen Richtung Schlager, die Texte wurden unerheblich. Cash, wieder merklich aufgeschwemmt, schien dies alles nicht zu kümmern. Das ewig gleiche Hit-Programm wurde live oft unter größten Schwierigkeiten absolviert.

Spätes Comeback

Erst 1994 fand ein sensationelles Comeback statt. Rockproduzent Rick Rubin konnte ihn dazu überreden, Musik aufzunehmen, wie man sie vom alt und behäbig gewordenen Cash nicht mehr erwartet hatte: Allein mit sparsamer Gitarren- und Bandbegleitung interpretierte er sich im Folgenden gebrochen, aber unendlich kraftvoll auf den vier Alben der American Recordings - Serie durch eigenes und das Songmaterial von Cash- Bewunderern wie Nick Cave, Beck oder Will Oldham – und er krönte seine Karriere mit einem unglaublich intensiven Schlusspunkt, dem oben erwähnten Stück Hurt . Johnny Cash ist nun in Nashville, Tennessee, seinem langen Leiden erlegen. Seine Frau June war ihm diesen Mai vorangegangen. Wahrscheinlich wollte und konnte er auch nicht ohne sie sein. Liebe ist stärker als der Tod: „Give my love to rose."