D. ist wirklich losgezogen. Mutterseelenalleine stiefelte sie los. In einen nasskalten Septembertag, der von Sonnenauf- bis -untergang ein und dasselbe grantig-graue Einheitslicht durch tiefergelegt Wolken, waagrecht durch Gassen und um Ecken klatschenden Regen und durchdringend-kalten Wind schickte. In einen Tag, den wir - bis dahin ihre Freunde - damit verbrachten, Heizungen zu entlüften, Flip Flops in hintersten Kästen zu verstauen und Teekannen zwischen uns, Taschentücher, Antifrustschokoladeberge und Stapel ungelesener Bücher und Zeitschriften zu platzieren.
Quietschgelb
Aber D. war glücklich. Sie hatte gelbe Gummistiefel ausgegraben, eine gefütterte Armyhose und eine gelbe Ölzeugjacke samt dazupassendem knallgelben Regenhut an, hatte einen Schal (gelb) umgewickelt und pfiff Wanderlieder. Sie fühle sich, hatte sie erklärt, wie eine Badeente, die am Wannenrand zusehe, wie Wasser und Schaum immer näher kämen - und werde sich glücklich quietschend gleich in die Fluten werfen. Endlich, endlich, endlich - D. wiederholte sich mehrmals - sei der Sommer, grässlich, elend, unerträglich, schaurig, quälend, vorbei. Und sie beginne zu leben.
Kurz danach rief G. an. Er erklärte, er bereite sich gerade auf den ersten massiven Schub der nun hereinbrechenden Winterdepression vor. Ob sich D. denn auch bei uns gemeldet habe? Er, sagte G., hätte der so vergnügt zwitschernden D. gerne eine Ladung Starkstrom durch die Leitung gejagt. Und nun, sagte G., schäme er sich. Wegen seiner Aggressionen. Und das Schamgefühl habe ihn - im Verein mit dem klopfenden Regen und dem Kratzen im Hals - noch tiefer in die grässlich graue Tiefe gezogen.
Kastanienträume
Er hasse D., sagte G. Weil sie es mit ihrem Freudentanz angesichts des ersten echten Herbstregens und der ersten echten Herbstwinde und der ersten echten Herbstkälte schaffe, ihn völlig zu demotivieren. Jedes Jahr, jammerte P., das gleiche Spiel: Er bereite sich auf einen schonenden, weichen, sanften Abschied vom Sommer vor, stimme sich auf einen Herbstbeginn mit milden Abenden, romantischen Spaziergängen unter rostbraunblättrigen Kastanienbäumen im warmen Licht sanfter Herbstnachmittage vor und verspreche all seinen Alltagstherapeuten, heuer erstmals so zu sein, wie er es sich immer gewünscht habe: Frühestens Mitte November würde er sich einsperren und verzweifelt Mails nach jemandem, der ihm die Höhensonne reparieren könne, losschicken. Aber kaum beginne es zu regnen, gehe der Herbst mit D. durch.
Früher, sagte G., hab ihn der Altweibersommer gerettet. Für ein paar Tage oder Wochen. Aber D. habe ihm das vergällt. Weil ihre Herbsteuphorie ein untrügliches Zeichen für das sei, was dann komme - und bleibt: Dunkelheit, Nässe und Kälte. Bis in den Mai. Oder bis April. Das allerschlimmste aber sei, dass D. ihn heuer fertig machen wolle: Sie sei auf dem Weg zu ihm, habe sie ihm per SMS gedroht. Um ihn aus seiner Depression zu reissen. Notfalls, las G. mit verzweifelter Stimme vor, mit Gewalt: Ein Spaziergang im Park - inklusive Lackenspringen - sei das, was er, G. , jetzt brauche, habe D. entschieden. Weil sie sein Katzenjammerherbstgesicht nicht mehr aushalte. Sie würde für G. einen schicken gelben Regenmantel mitbringen. Schon die Farbe, hatte D. geschrieben, würde ihn fröhlich machen
Er habe, sagte G. jetzt Angst. Echte Panik. Er könne nicht aus dem Haus. Draussen sei doch feindlich. Absolut feindlich. Hinter G. läutete es an der Tür. Dann hörten wir D.s Stimme. Fröhlich und unerbittlich. G. winselte. Dann brach die Verbindung ab. Als es wenig später an unserer Tür Sturm läutete, taten wir, als wären wir ausgewandert. Bis Mai. Mindestens.
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