Valentin Carron, Wall ride painting

Secession
Der Schweizer Daniel Baumann bringt 21 Kunstschaffende unters Krauthäuptel der Secession und räsoniert im Vorfeld über seine internationale Auswahl. Wien - Tausende neue Kunststudenten spucken die Kunstakademien jährlich aus und auf den Markt. Wenn man wie Daniel Baumann die Weiterführung der Secessions-Ausstellungsreihe "Junge Szene" kuratiert, stellt sich die Frage: Wie selektiert man, wo setzt man an? Wie entgeht man dem Jugendwahn? Fragen, bei denen Baumann fürs Erste einmal schweigt: "So banal es klingt, ich zeige, was mir derzeit als bedeutend erscheint, also starke individuelle Positionen."

Diese Einstellung käme auch, so der in Basel lebende 36-jährige Kunstfachmann, aus seiner Beschäftigung mit historischen Größen wie Adolf Wölffli (u. a. für die Sammlung Essl) und Martin Kippenberger. Mit diesem Archiv im Hinterkopf scheint der angenehm unaufgeregte Kurator, der an sich heroische Kunstgeschichte und heroische Diskurse ebenso zu verachten scheint wie an Künstlern, eine gesunde Distanz zum Gegenwartskunst-Treiben zu bewahren, ja sogar eine leichte Abscheu davor zu haben. "Ich zeige keine Trends, keinen neuen Stil, bin keiner Zeitschrift oder Galerie verpflichtet. Ich mag Leute, die etwas wagen, das fast schon ins Halsbrecherische geht." Solche Personen, in dem Fall 21 aus der westlichen Kunsthemisphäre, können ein Paralleluniversum erzeugen (Constantin Luser), Secessions-Flaggen nähen (Kalin Lindena) oder, wie das Frankfurter Duo Michael S. Riedel und Dennis Loesch, eine "kulturelle Situation" verdoppeln.

Das geht in Wien so: Die beiden bauten einen (Frankfurter) Ausstellungsraum in die Secession, in welchem sie Ausstellungen reproduzierten. Baumanns Kommentar: "Das gefällt mir an den beiden, da gibt es keinen Diskurs, die Künstler nehmen zum Beispiel eine Lesung des Pop-Autors Stuckrad-Barre und reproduzieren das. Dieser Spiegel genügt, wenn man will, zur Kritik. Man kann allgemein in dem Zusammenhang von Dissidenz sprechen, ein altmodisches Wort, aber gut."

Themenschau wollte Baumann schon gar keine machen, obwohl der Ausstellungstitel wie eine Uni-Seminararbeit klingt: Kontext, Form, Troja. Ein Trojanisches Pferd als "Inszenieren von Fremdkörpern im bestehenden System", als Computer- virus. Macht das "gute" Kunst nicht sowieso, Herr Baumann?

Kunst & Kontext

Da gibt es zum Beispiel wiederum Bilder von Isabella Schmidlehner, die würden an einem Souvenirkitschstand in Paris oder Split nicht weiter auffallen. "Auf den zweiten Blick schon", verteidigt Baumann. Siehe auch unter: "Kontext". Es sei ihm aufgefallen, dass jüngere Künstler gerne wieder figurativ malen, etwas, das die "westliche Kunstgeschichte lange Zeit ausgeklammert hat". Die Britin Lucy McKenzie greift in ihrer Malerei etwa die sozialistischen Wandgemälde der 30er-Jahre auf.

Was Baumann missfällt, sind Ansammlungen von Videokammerln oder, "ein Schwachsinn", alle Spielarten von so genannter Interaktivität. Zur äußeren Form der Arbeiten: Da wolle er in die Breite gehen, sämtliche Medien und Spielarten repräsentiert sehen. Künstler bedienen sich kunstfremder Strategien und Mittel (Sport, Theater, Film, Wissenschaft et cetera), produzieren nicht im herkömmlichen Sinn, sondern üben den, wie Boris Groys in seinem jüngsten Buch "Topologie der Kunst" formuliert, konsumierenden Blick ein, "der nicht ,arbeitet', sondern nur kritisiert, beurteilt, entscheidet, auswählt, kombiniert". Dazu gehört auch Roland Kollnitz' Wiener Kletterstange im Garten, 18,97 Meter hoch, gemäß dem Gründungsjahr der Secession. Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren stand an der Stelle etwa ein Swimmingpool.

Eine historische Figur, die gerne solcherart "konsumiert" und unterschiedlich gelesen wurde, sei Sissi gewesen. Was Baumann nebst der Gründung eines (mittlerweile weiterverkauften) Genfer Sissi-Fanklubs zur Herausgabe eines "Sissi-Almanachs" bei Eichborn veranlasste.

In manchen Ausstellungen denkt sich Baumann: "Himmel, was für ein großer Aufwand, um so wenig zu sagen." Eine inhaltliche und formale "Präzision und Effizienz" wolle er dagegen mit seiner Auswahl anstreben. (DER STANDARD; Printausgabe, 17.09.2003)