Eine Zuwanderungspolitik nach rein wirtschaftlichen Kriterien geht in die falsche Richtung. Die Vorsitzende des deutschen Zuwanderungsrates, Rita Süssmuth, mahnte bei der Wiener Metropolis-Konferenz kulturelle und menschliche Aufgeschlossenheit ein.

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Wien - Wenn ein tollpatschiger Strizzi auf dem Weg in die Hackn im Gatsch vor einem Beisl gegen die Tschäs'n eines Haberers tuscht, so geschieht das in sprachlicher Hinsicht auf Ungarisch, Tschechisch, Jiddisch, Italienisch, Französisch, Hebräisch und Deutsch - Wienerisch eben. Das Beispiel zeigt, wie sehr die Bundeshauptstadt durch Zuwanderungsströme und ethnische Vielfalt geprägt ist. Doch heute wird das Thema Migration in erster Linie von "illegalen Grenzgängern" und nationalen Abschottungsszenarien beherrscht. Die bis Freitag dauernde internationale Metropolis-Konferenz im Wiener Rathaus soll neue positive Ansätze für eine Zuwanderungspolitik liefern.

Rita Süssmuth, die Vorsitzende des deutschen Zuwanderungsrates, warnte am Dienstag vor der gegenwärtigen "ökonomistischen Verengung" der Zuwanderungspolitik: "Sämtliche Fragestellungen werden allein nach wirtschaftlichen Kriterien beurteilt, wesentliche soziale und kulturelle Aspekte werden sträflich vernachlässigt." Süssmuth, die in Deutschland momentan auch als mögliche Präsidentschaftskandidatin gehandelt wird, forderte mehr "Redlichkeit und Aufgeschlossenheit" in der Politik.

Dem populären Bild des "armen Flüchtlings" stellte Süssmuth Erfolgsbeispiele gelungener Integration gegenüber: So seien allein in Berlin an die 20.000 Türken als Unternehmer tätig, und im deutschen Gesundheitswesen würden überhaupt 44,7 Prozent Migranten arbeiten.

Noch mehr auf Hilfe aus dem Ausland ist das heimische Gesundheitswesen angewiesen. In Wien seien 62 Prozent aller in Pflegeberufen tätigen Personen nicht in Österreich geboren, betonte die Wiener Integrationsstadträtin Renate Brauner bei ihrem Eröffnungsstatement am Montagabend. Fast jeder sechste Wiener habe eine ausländische Staatsbürgerschaft.

Nicht zuletzt diese "handfesten demografischen Grundlagen" verlangten neue politische Ansätze. "Die Zeit von Mehrheit, Minderheit und Assimilierung ist vorbei", kündigte Brauner an.

Kritik an Regierung

Das neue Wiener Demokratiekonzept biete Ausländern aktives und passives Wahlrecht - "obwohl die österreichische Bundesregierung dagegen Einspruch erhoben hat", merkte Brauner vor 500 Konferenzteilnehmern kritisch an. Ein Zeichen der Wiener Eigenständigkeit sei auch, dass der "externe Integrationsfonds" eine eigene Magistratsabteilung werde.

Am Donnerstag wird EU-Kommissar Antonio Vittorino die Plenarsitzung der Konferenz eröffnen. Der deutsche Innenminister Otto Schily hat seine Teilnahme abgesagt. (Michael Simoner/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2003)