Berlin - Rund 7.000 Seiten zum deutschen Altkanzler
Helmut Kohl lagern in den Archiven der Stasi-Unterlagen-Behörde. Über
die Freigabe eines Teils des Materials für Forschungszwecke streiten
Akten-Beauftragte Marianne Birthler und Altkanzler Helmut Kohl nun
schon seit mehr als drei Jahren. Ursprünglich ging es in der Auseinandersetzung um eine
Formulierung im 1991 in Kraft getretenen Stasi-Unterlagen-Gesetz. In
Paragraf 32 hieß es unter anderem: "Für die Forschung zum Zwecke der
politischen und historischen Aufarbeitung der Tätigkeit des
Staatssicherheitsdienstes sowie für Zwecke der politischen Bildung
stellt der Bundesbeauftragte folgende Unterlagen zur Verfügung: (...)
Unterlagen mit personenbezogenen Informationen über Personen der
Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in
Ausübung ihres Amtes, soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind".
Prominenten-Akten
Strittig war, wie die Formulierung "Betroffene oder Dritte" zu
interpretieren ist. Nach Auffassung Kohls gewährte sie den Schutz der
Stasi-Opfer, zu denen der Altkanzler sich zählt. Die
Stasi-Akten-Behörde ging dagegen davon aus, dass Personen der
Zeitgeschichte nur dann als "Betroffene" einzustufen sind, wenn ihre
Privatsphäre berührt wird. Nach diesem Prinzip wurden zehn Jahre lang
Prominenten-Akten an Wissenschaftler und Journalisten herausgegeben.
Mehr als 13.000 solcher Anträge wurden bearbeitet.
Das Bundesverwaltungsgericht gab Kohl in einem Urteil vom März
2002 Recht. Im Gesetzgebungsverfahren sei "unmissverständlich
deutlich geworden", dass der Opferschutz Vorrang vor der Aufklärung
habe, hieß es zur Begründung. Die Stasi-Akten-Behörde habe in den
vergangenen zehn Jahren im "offenkundigen Widerspruch" zum
Gesetzestext gehandelt.
"Personen der
Zeitgeschichte"
Nur vier Monate nach dem Urteil verabschiedete der Bundestag mit
den Stimmen von SPD, Grünen und FDP eine Novelle des
Stasi-Unterlagen-Gesetzes, die die Verwendung von Unterlagen über
Prominente zu Forschungszwecken unter bestimmten Auflagen wieder
ermöglichte. In Paragraf 32 heißt es nun, Akten über "Personen der
Zeitgeschichte" dürften veröffentlicht werden, "soweit es sich um
Informationen handelt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions-
oder Amtsausübung betreffen". Dabei dürfen keine "überwiegend
schutzwürdigen Interessen" der Betroffenen beeinträchtigt werden.
In einem neuen Paragrafen 32a wird das Verfahren der Herausgabe
von Akten durch die Bundesbehörde geregelt. Danach müssen Betroffene
über eine geplante Veröffentlichung informiert werden und können
Einwände geltend machen. Die letzte Entscheidung über die Herausgabe
von Unterlagen liegt aber weiter bei der Stasi-Akten-Behörde.
Antrag auf Abänderung
Aber auch die Novelle beendete den Stasi-Akten-Streit nicht.
Während Birthler der Auffassung ist, dass sie auf der Grundlage des
neugefassten Gesetzes nun auch Akten über Kohl veröffentlichen darf,
hält der Altkanzler das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts weiter
für bindend. Vor einem Jahr landete die Sache erneut beim Berliner
Verwaltungsgericht. Birthler stellte einen Antrag auf Abänderung des
bestehenden Urteils, um Rechtsklarheit zu schaffen. Am Mittwoch
verhandelte das Verwaltungsgericht erstmals darüber. Mit einem
baldigen Ende des Streits ist nicht zu rechnen. Kohl hat über seine
Anwälte bereits angekündigt, notfalls bis vor das
Bundesverfassungsgericht ziehen zu wollen, um die Veröffentlichung
der Akten über ihn zu verhindern. (APA/AP)