Entsetzen, Empörung und bei den Betroffenen auch unverhohlene Angst prägten die Reaktionen auf die Berichte über das durch Zufall verhinderte Attentat auf die Baustelle des neuen jüdischen Zentrums in München. Der bayrische Innenminister Günther Beckstein (CSU) sprach von einer "völlig neuen Dimension der Bedrohung". Wenn auch zahlreiche andere Anschlagspläne der rechtsextremistischen Terroristen gefunden wurden, so besteht doch kein Zweifel, dass vor allem die Juden im Visier der vernetzten Terrorgruppen der Neonazis sind. Jahrzehntelang hatte man die terroristische Bedrohung dem Linksextremismus ("Rote Armee Fraktion") und seit 2001 den islamistischen Extremisten zugeordnet. Nun nehmen aber die deutschen Behörden und die Publizistik den Terror von rechts sehr ernst.

Bei dem geplanten Anschlag auf die Teilnehmer an der Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums ging es auch um Bundespräsident Rau, den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Spiegel, und den bayrischen Ministerpräsidenten Stoiber.

Der Verfassungsschutz hat immerhin allein in Bayern im ersten Halbjahr 490 neonazistische, antisemitische und rassistische Straftaten aufgedeckt; um ein Drittel weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Doch Statistiken sind trügerisch und sollten die Verantwortlichen ebenso wenig wie die Betroffenen zu sehr beruhigen.

Wenn auch auf der handschriftlichen Liste der Neonazis andere Einrichtungen wie etwa Moscheen und eine griechische Schule aufscheinen, so war doch der Plan eines Anschlags am 65. Jahrestag der Reichskristallnacht, wie es die erschrockene Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München formulierte, "ein teuflischer".

Die öffentliche und veröffentlichte Verurteilung ist allerdings irreführend, weil Antisemitismus und fremdenfeindlicher Extremismus nicht im luftleeren Raum entstehen. Bei der im Juni abgehaltenen Wiener Antisemitismus-Konferenz der OSZE sprach der ehemalige polnische Außenminister und katholische Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski davon, "wie rasch jede geduldete Art der Diffamierung . . . zu undenkbaren Ausmaßen" eskalieren kann. So kleide man gelegentlich den Antisemitismus in die Maske des so genannten Antizionismus, um niedere Instinkte und Ressentiments zu wecken. In seiner kurzen, aber ungemein wichtigen Rede zitierte Bartoszewski auch den ersten nicht kommunistischen Ministerpräsidenten Polens, Tadeus Mazowiecki, der wiederholt vor dem "sanften Antisemitismus" warnte. Jeder kennt den gefährlichen Bodensatz: "Es ist doch kein Antisemitismus, wenn man feststellt, dass . . ." und dann folgt die oft berechtigte Kritik an der Politik des Staates Israel.

Man darf die Tatsache nicht verdrängen, dass die antiisraelische Stimmung die alten Ressentiments überall belebt. In der vernetzten, globalisierten Welt nimmt der oft als Antiamerikanismus und Antizionismus getarnte Antisemitismus offenkundig zu. Die deutschen Neonazi-Terroristen bilden die Spitze des Eisbergs.

Man kann nur hoffen, dass der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude Recht hat, wenn er meint, dass "noch etwas Gutes aus dieser deprimierenden Situation entstehen" könnte.

Wirklich gefährlich ist jedenfalls weniger die gewalttätige braune Szene, sondern das "feine Schweigen", das den Antisemitismus nach Auschwitz wieder salonfähig gemacht hat.

Deshalb ist der Kampf gegen den Antisemitismus "der gutmütigen und anständigen Menschen", so Mazowiecki, "ein Kampf um unsere eigene Würde. Ein Kampf um die Würde aller." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.9.2003)